Umweltkatastrophen, knappe Ressourcen und die Klimakrise sind in der heutigen Zeit zentrale Themen. Wie sieht also eine Ernährung aus, die nicht nur gesund, sondern auch ökologisch und sozial tragfähig ist? Wir haben uns dazu mit Pressereferentin und Ernährungswissenschaftlerin Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) unterhalten.
Die Ressourcen werden weltweit immer knapper und der Klimawandel immer mehr spürbar, sodass auch unsere Ernährung eine zentrale Rolle einnimmt. Was gegessen und wie es produziert wird, hat direkte Auswirkungen auf Umwelt, Klima, Tierwohl und die eigene Gesundheit. Bei nachhaltiger Ernährung geht es um bewusste Entscheidungen, regionale Alternativen, saisonale Vielfalt und einen respektvollen Umgang mit Lebensmitteln. Im Gespräch mit Silke Restemeyer, Pressereferentin und Ernährungswissenschaftlerin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), sprechen wir über das Essen von morgen, die Rolle der Ernährung im Zusammenhang mit Klima- und Umweltschutz, die Umsetzbarkeit im Alltag und wie man Kinder und Jugendliche an ein nachhaltiges Essverhalten heranführen kann.
Frau Restemeyer, was versteht man unter einer sogenannten „nachhaltigen Ernährung“ – und wo liegen die größten Hebel für Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn es um die Umsetzung einer klimafreundlichen Ernährung geht?
Silke Restemeyer: Nachhaltige Ernährung ist eine Ernährung mit geringen Umweltauswirkungen, die zur Ernährungssicherheit und zum gesunden Leben heutiger und künftiger Generationen beiträgt. Nachhaltige Ernährung schützt und respektiert die biologische Vielfalt und die Ökosysteme, ist kulturell akzeptabel, zugänglich, wirtschaftlich fair und erschwinglich, ernährungsphysiologisch angemessen, sicher und gesund und optimiert gleichzeitig die natürlichen und menschlichen Ressourcen. Ökologisch nachhaltig zu essen, bedeutet, sich überwiegend mit pflanzlichen Lebensmitteln zu ernähren, wie es beispielsweise in den Ernährungsempfehlungen der DGE formuliert ist. Langfristig lassen sich so die weltweiten Lebens- und Umweltbedingungen verbessern und mehr globale Gerechtigkeit erreichen.
- Wer sich überwiegend von Obst und Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten sowie Nüssen und pflanzlichen Ölen ernährt, schützt nicht nur seine Gesundheit, sondern schont dabei die Ressourcen der Erde.
- Dazu gehört auch, Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Die DGE-Empfehlungen „Gut essen und trinken“ zeigen einen Weg, den Verzehr von pflanzlichen Lebensmitteln zu steigern und den von tierischen Lebensmitteln zu senken, um Gesundheit und Umwelt zu schützen.
Welche Rolle spielt der Bereich Ernährung insgesamt im Zusammenhang mit Klima- und Umweltschutz? (Gibt es Zahlen oder Vergleiche zu anderen Lebensbereichen wie Mobilität oder Energieverbrauch?)
Silke Restemeyer: Der Beitrag der Ernährung an den Treibhausgasemissionen liegt weltweit bei 25–30 % [42–44]. Bei der Produktion von Lebensmitteln entstehen Emissionen von Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4) oder Lachgas (N2O), z. B. durch Traktoren oder Erntemaschinen, Dünger für die Felder, beheizte Gewächshäuser und Intensivtierhaltung, die Verarbeitung von Lebensmitteln, durch Kühlen oder Tiefgefrieren von Lebensmitteln, deren Transport und letztlich die Zubereitung von Speisen. Fallen Speiseabfälle an, entstehen neben der Verschwendung der Ressourcen der Lebensmittelproduktion auch bei der Entsorgung Treibhausgase.
Neben der Emission von Treibhausgasen hat die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft noch zahlreiche weitere Auswirkungen auf die Umwelt und beeinflusst als offenes System Boden, Wasser, Tiere und Pflanzen. So kann bspw. die intensive Bodenbearbeitung das Risiko von Erosion erhöhen, führt zu Bodenverdichtungen und kann langfristig den Verlust der Bodenfruchtbarkeit hervorrufen [45]. Die Intensivtierhaltung birgt zum Teil durch die übermäßige Verwendung von Antibiotika das Risiko von Resistenzen [46]. Die Ausbringung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln hat beträchtliche Auswirkungen auf die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren [47] und eine intensive Stickstoffdüngung ist für eine Belastung des Grundwassers mit Nitrat verantwortlich [48].
Quelle inkl. Literaturangaben [42-48]: DGE-Position zur nachhaltigeren Ernährung: https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2021/07_21/EU07_2021_M406_M416_neu.pdf)
Die DGE hat 2024 ihr neues Ernährungsleitbild veröffentlicht – welche Empfehlungen darin zielen konkret auf Nachhaltigkeit ab?
Silke Restemeyer: Mit den im März 2024 veröffentlichten neuen lebensmittelbezogenen DGE-Ernährungsempfehlungen (FBDG) verfolgt die DGE das Ziel, gesundheitliche und ökologische Anforderungen gleichermaßen zu berücksichtigen. Die FBDG basieren auf einem wissenschaftlich fundierten Optimierungsmodell, das nicht nur die Nährstoffversorgung, sondern auch Umweltwirkungen, aktuelle Verzehrgewohnheiten sowie soziale und kulturelle Aspekte einbezieht.
Unsere DGE-Empfehlungen enthalten jeweils auch einen Hinweis zur Nachhaltigkeit. Bei der Empfehlung „Obst und Gemüse – viel und bunt“ gibt es etwa den Hinweis „Bevorzugen Sie beim Einkauf Obst und Gemüse, das gerade Erntesaison hat. Während der Saison sind diese Lebensmittel häufig preisgünstiger und sie schonen gleichzeitig die Umwelt. Auch Obst und Gemüse mit Macken und Flecken versorgen Sie gut mit Nährstoffen. Weiterverarbeitet zu Suppen, Saucen oder Smoothies zählen sowieso nur die „inneren Werte“. Die Ökobilanz von Südfrüchten ist am besten, wenn sie aus Europa kommen. Dann haben sie kürzere Transportwege als aus Übersee. Transporte mit dem Flugzeug belasten die Umwelt deutlich stärker als klimaschonendere Transportmittel wie Bahn, Lkw und Schiffe.“
Wie lässt sich nachhaltige Ernährung im Alltag umsetzen – ohne dass es kompliziert und teuer wird?
Silke Restemeyer: Wer sich überwiegend von Obst und Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten sowie Nüssen und pflanzlichen Ölen ernährt, schützt nicht nur seine Gesundheit, sondern schont dabei die Ressourcen der Erde. Dazu gehört auch, Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Die DGE-Empfehlungen „Gut essen und trinken“ zeigen einen Weg, den Verzehr von pflanzlichen Lebensmitteln zu steigern und den von tierischen Lebensmitteln zu senken, um Gesundheit und Umwelt zu schützen.
Der DGE-Ernährungskreis zeigt auf einen Blick, wie eine gesunde und ökologisch nachhaltige Ernährung aussieht. Er ist damit eine Art Wegweiser mit Beispielen für eine optimale Lebensmittelauswahl. Die Größe der Lebensmittelgruppe veranschaulicht dabei den Anteil an der Ernährung. Je größer eine Lebensmittelgruppe ist, desto mehr kann daraus gegessen werden. Die größte Lebensmittelgruppe sind die Getränke in der Mitte des Kreises. Als nächstes bilden pflanzliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, Getreide und Kartoffeln sowie Öle den größten Teil des Kreises. Tierische Lebensmittel wie Milch und Milchprodukte, Fisch, Fleisch und Ei ergänzen die Auswahl.
Empfehlenswert ist es, innerhalb der Gruppen die Vielfalt an Lebensmitteln zu nutzen und abwechslungsreich zu essen. Eine gesunde und umweltschonende Ernährung ist zu mehr als ¾ pflanzlich und knapp ¼ tierisch.
Zu einem achtsamen Umgang mit Lebensmitteln gehört auch, sie nicht wegzuwerfen. Lebensmittelverschwendung schadet nicht nur der eigenen Geldbörse, sondern vergeudet auch Ressourcen, die für Anbau, Verarbeitung, Verpackung und Transport benötigt wurden.
Ist eine nachhaltige Ernährung für alle Gesellschaftsschichten umsetzbar/leistbar?
Silke Restemeyer: Eine nachhaltigere Ernährung ist grundsätzlich für alle Gesellschaftsschichten umsetzbar, vorausgesetzt es werden entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen. Speisepläne, die sich an den DGE-Empfehlungen orientieren, können kostengünstig gestaltet werden, zum Beispiel durch den verstärkten Einsatz von Hülsenfrüchten, Vollkornprodukten, saisonalem Gemüse und Leitungswasser als Hauptgetränk. Allerdings können soziale Ungleichheiten, etwa beim Zugang zu gesunden Lebensmitteln, bei Zeitressourcen oder in der Bildung, die Umsetzung im Alltag erschweren. Aus diesem Grund sollten z. B. strukturverändernde Maßnahmen ergriffen werden, wie eine gesundheitsfördernde und nachhaltigere Gemeinschaftsverpflegung in Kitas, Schulen, Betrieben und Senioreneinrichtungen. Nachhaltigere Ernährung muss also nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich gestaltet werden, damit sie für alle Menschen unabhängig von Einkommen oder Lebenssituation umsetzbar bleibt.
Welche Verantwortung tragen aus Ihrer Sicht Handel, Gastronomie und Lebensmittelindustrie in dieser Hinsicht?
Silke Restemeyer: Zu dieser Fragestellung können wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft keine umfassenden Aussagen machen.
Sicherlich liegt auch hier Potenzial in der Reduktion von Lebensmittelverlusten. Wichtig sind außerdem ein günstiges Nährwertprofil, transparente Rezepturen sowie ein hoher Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln, der sich auch positiv auf die Klimabilanz auswirkt. Eine Transformation hin zu einer nachhaltigeren Ernährung kann nur durch eine kooperative Anstrengung aller Beteiligten gelingen. Hier sind u. a. interdisziplinäre Ansätze entlang der Wertschöpfungskette gefragt.
Wie kann man Kinder und Jugendliche an ein nachhaltiges Essverhalten heranführen, ohne sie zu überfordern?
Silke Restemeyer: Um Kinder und Jugendliche an ein nachhaltigeres Essverhalten heranzuführen, ist es wichtig, ihnen altersgerecht und alltagsnah positive Erfahrungen mit nachhaltiger Ernährung zu ermöglichen. Die DGE setzt dabei auf ihre wissenschaftlich fundierten Qualitätsstandards für die Verpflegung in Kitas und Schulen. Diese zeigen, wie gesundheitsfördernde und nachhaltigere Ernährung in der Gemeinschaftsverpflegung praktisch umgesetzt werden kann. Ein zentraler Ansatz ist das Lernen durch Erleben: Wenn täglich eine überwiegend pflanzenbasierte, saisonale und ausgewogene Verpflegung angeboten wird, mit moderaten Mengen tierischer Lebensmittel und mit der Vermeidung von Lebensmittelabfällen, entwickeln Kinder früh ein Verständnis für nachhaltiges Essen. Begleitend ist Ernährungsbildung, zum Beispiel durch Projekttage, praktische Aktionen, den Einbezug in die Speiseplangestaltung oder den Besuch von Bauernhöfen, empfehlenswert. Entscheidend ist, dass das Thema kindgerecht, mit Freude und ohne Verbote vermittelt wird. Vielfalt, Mitbestimmung und gute Vorbilder, etwa durch pädagogisches Personal und Eltern, sind dabei besonders wirksam. So kann nachhaltigeres Essverhalten Schritt für Schritt gefördert und im Alltag verankert werden.
Wenn Sie in einem Satz sagen müssten: Wie sieht die „Ernährung der Zukunft“ aus – was wäre Ihre Antwort?
Silke Restemeyer: Die Ernährung der Zukunft ist stärker pflanzenbasiert, inklusive einer großen Bandbreite an alternativen pflanzlichen Proteinquellen, und damit gesundheitsfördernder und nachhaltiger.
Über die DGE
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) ist die für Deutschland zuständige wissenschaftliche Fachgesellschaft im Bereich Ernährung.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1953 beschäftigt sie sich mit allen auf dem Gebiet der Ernährung auftretenden Fragen und stellt Forschungsbedarf fest. Sie unterstützt die ernährungswissenschaftliche Forschung ideell, informiert über neue Erkenntnisse und Entwicklungen und macht diese durch Publikationen und Veranstaltungen verfügbar.
Auf Grundlage von Forschungsergebnissen erarbeitet die DGE die für Deutschland gültigen Ernährungsempfehlungen und Aussagen. Sie transferiert diese Erkenntnisse zielgruppengerecht, um die Gesundheit der Bevölkerung unter nachhaltigen Aspekten langfristig zu fördern und zu erhalten.
Lust auf ein weiteres spannendes Interview? Wir haben uns mit Angelika Wiesgen-Pick, Geschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure e. V. (BSI), über Verantwortung, Alkoholprävention und die Zukunft der Spirituosenbranche unterhalten.