Heidi Lilienkamp ist die erste Diätassistentin mit Zusatzqualifikation zur Diplom-Käsesommelière. Mit einem flotten Spruch auf den Lippen managt sie nicht nur ihren Berufsalltag als leitende Diätassistentin in einer Klinik, sondern verführt in ihrer Freizeit das eine oder andere Mal als Käsesommelière zum Genießen. Auf den ersten Blick ein Widerspruch, doch im Interview wird deutlich, warum die Ernährungsfachfrau für dieses besondere Lebensmittel prädestiniert ist, was eine Talkshow damit zu tun hat und welche Käse-Getränk-Kombination ein Muss ist.
Käse steht für Genuss. Das Wort „Diät“ wird leider häufig mit Verzicht assoziiert. Du bist Diätassistentin und Diplom-Käsesommelière. Welcher ist der gemeinsame Nenner?
Heidi Lilienkamp: Unser Beruf wird meistens mit Verboten gleichgesetzt. Eigentlich ist es genau umgekehrt, denn wir zeigen Patienten, was sie trotz einer Erkrankung alles essen dürfen. Wir möchten sie für eine ausgewogene Ernährung und eine vielfältige Lebensmittelauswahl begeistern. Lebensmittelkunde ist in der Diätassistentenausbildung ein wichtiger Teil, und schon dort lernen wir, ein Lebensmittel ganzheitlich zu betrachten – vom Anbau bis zum Verzehr. Leider wird der Genussaspekt kaum thematisiert und geht im beruflichen Alltag in einer Klinik oder im Altenheim auch teilweise unter, was oft den schmalen Verpflegungsbudgets geschuldet ist. An dieser Stelle ist die Ausbildung zur Diplom-Käsesommelière als Zusatzqualifikation eine tolle Ergänzung. Geschmack, Aroma und Genuss bekamen durch sie eine ganz neue Bedeutung für mich. Diesen besonderen Zugang zu Lebensmitteln gebe ich nun auch meinen Patienten beispielsweise in der Lehrküche weiter. Für mich persönlich ist es eine runde Sache, das Wissen über Nährstoffe, Qualität und Genuss zu vereinen.
Warum hat es dir ausgerechnet der Käse angetan?
Heidi Lilienkamp: Käse ist ein sehr ursprüngliches, traditionelles, fast auf der ganzen Welt seit Jahrhunderten hergestelltes Produkt, das mich sehr fasziniert. Er bietet eine unglaubliche Geschmacksvielfalt und ein ausgezeichnetes Zusammenspiel mit anderen Lebensmitteln und Getränken. Als in einer Talkshow eine Diplom-Käsesommelière auftrat und dort eine Verkostung zelebrierte, hat es mich gepackt. Gleich am nächsten Tag nahm ich Kontakt mit dem Wirtschaftsförderinstitut der Wirtschaftskammer Niederösterreich (WIFI) auf, das als einziges die Ausbildung mit einem weltweit anerkannten Diplom anbietet. Kurze Zeit später nahm ich tatsächlich mit voller Begeisterung an dem Lehrgang teil und absolvierte meine Ausbildung zur Diplom-Käsesommelière.
Wie verläuft die Ausbildung genau?
Heidi Lilienkamp: Bevor es mit dem Thema Käse richtig losgeht, werden zunächst die Sinne in einem Getränke-Basisseminar eingehend geschult. Am Ende ist man in der Lage, Unterschiede von 0,5-prozentigen Lösungen, salzig, süß, bitter und sauer zu schmecken, die Vielfältigkeit von Aromen zu definieren und exakt zu beschreiben. Danach folgt das eigentliche Käseseminar, das sich über einen Zeitraum von 14 Tagen erstreckt und mit einer Prüfung endet. Es beginnt mit der Käseherstellung und Technologie. Danach widmet man sich den Käsesorten aller europäischen Käseländer. Die unterschiedlichen Käsesorten werden sensorisch beurteilt, verkostet und fachlich besprochen. Käsetyp, Milchart, Reifestufe, Farbe, Lochung, Geruch, Geschmack und Gesamteindruck stehen dabei im Vordergrund. Diese Parameter müssen genau erklärt und beschrieben werden. Doch nicht nur Sensorik und Fachwissen müssen angehende Käsesommeliers lernen, auch die Präsentation am Käsewagen und die Interaktion bei einer Verkostung werden geübt. Kalkulation und Preisgestaltung sind weitere Themen. Die Informationsdichte ist extrem hoch, und auch praktisch hat es der Lehrgang in sich, das sollte man nicht unterschätzen. Es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, mich so genau mit einer Lebensmittelgruppe auseinanderzusetzen und meine sensorischen Fähigkeiten zu schulen.
Welcher Herausforderung müssen sich die angehenden Käsesommeliers bei der Abschlussprüfung stellen?
Heidi Lilienkamp: In der Abschlussprüfung wird auf hohem gastronomischem Hotellerieniveau agiert. Die angehenden Diplom-Käsesommeliers müssen vor einer vierköpfigen Fachjury (Wein- und Käsesommeliers) zehn unterschiedliche Käsesorten am Käsewagen mit entsprechenden Beigaben und Getränkeempfehlungen präsentieren. Der Käsewagen ist mit Käse unterschiedlicher Länder, aus allen Milchsorten (Kuh, Schaf, Ziege, Büffel) und mit allen Reifestufen (Frischkäse, Weichkäse, Schnittkäse und Hartkäse) bestückt. Es zählt nicht nur die Beschreibung des Käses mit den Parametern Aussehen, Geruch, Konsistenz und Geschmack, sondern auch die passende Getränkeempfehlung. Der Prüfling muss zudem den Käse fachgerecht schneiden und anreichen können.
Auch nach dem Diplom bist du eng mit der Ausbildung verbunden. Wie kam es dazu?
Heidi Lilienkamp: „Käse in der Ernährung“ ist in der Ausbildung ein zehnstündiger Baustein, und dabei konnte ich als Diätassistentin natürlich sehr gut mein Wissen einbringen. Da dieser Unterrichtspart bis dato nicht von einer Ernährungsfachkraft gehalten wurde, kam die Prüfungsleitung nach dem Diplom auf mich zu und bot mir an, ihn zukünftig zu halten. Inzwischen habe ich den Unterrichtsbaustein in der Ausbildung der Käsesommeliers an den Schulungsstandorten Hannover und München übernommen. Es macht mich stolz, dass ich mein breites Wissen und meine Begeisterung für Ernährung und Käse an die Teilnehmer aus dem Hotel- und Gastgewerbe sowie dem Handel weitergeben kann.
Wie genau läuft eine Käseverkostung ab?
Heidi Lilienkamp: Die meisten Verkostungen haben ein übergeordnetes Thema; sehr gerne wird ein Land oder eine Region in den Fokus gestellt. Pro Abend werden acht bis zehn Sorten verkostet, und die Reihenfolge wird nach der Gaumenlogik bestimmt. Der mildeste Käse kommt zuerst, und die Aromatik steigert sich von Sorte zu Sorte. Blauschimmelkäse kommt zum Schluss. Würde man diesen zu Beginn probieren, würde das den Geschmackssinn für die darauffolgenden Sorten verfälschen. Natürlich kommen neben den Geschmacks- und Genussaspekten auch die Herkunft und die Historie des Käses ins Spiel. Käse wurde 1.100 v.Chr. das erste Mal in der Geschichte erwähnt und ist, wie so viele Lebensmittel, mit den Klöstern verbunden. Aromatisch passende Begleitgetränke dürfen bei keiner Verkostung fehlen. Die Bandbreite reicht vom Weißwein über Schaumwein und sortenreinen Säften bis zum Portwein mit dem erwähnten Blauschimmelkäse zum Abschluss.
Welche Käse-Getränk-Kombination sollte man unbedingt probiert haben?
Heidi Lilienkamp: Das Geschmackserlebnis von Chaource und Champagner sollte man sich nicht entgehen lassen. Der fettreiche Weißschimmelkäse ist außen weich und hat einen quarkigen Kern und harmoniert wunderbar mit den cremigen Champagnernoten. Bereits Napoleon soll gesagt haben, dass dieser Käse wie Schnee auf der Zunge zerfällt. Dem habe selbst ich nichts mehr hinzuzufügen.
Zum Käse ist auch Brot ein Muss. Brot-Sommelier und Bio-Bäcker Benjamin Profanter verrät hier, warum Schüttelbrot eine regelrechte Renaissance erlebt.