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Senatsbockanstich online: Geht das?

„Die Krüge hoch, die Kehlen weit, es ist wieder Senatsbockzeit“, eng an eng im Grundsteinkellers des Hamburger Rathauses freuen sich durstige Gäste über den Senatsbockanstich und stoßen auf das historische Event an. Ein Bild, das Ende Januar 2021 undenkbar scheint. Und dem ist auch so. Die Räumlichkeiten, in denen ich letztes Jahr noch mit Freunden und Bekannten aus der Bierbranche zahlreiche der eben genannten Krüge geleert und einen entsprechend feuchtfröhlichen Abend verbracht habe, sind zum diesjährigen Senatsbockanstich leer. Die Krüge jedoch nicht, denn die Hamburger lassen sich, wie so viele in diesen Zeiten, nicht unterkriegen und bringen den Senatsbockanstich in das heimische Wohnzimmer. Ok, den Anstich vielleicht nicht direkt, aber die diesjährigen Senatsböcke und ein passendes Digital-Event.

Was ist der Hamburger Senatsbockanstich?

Nur wenige verbinden Hamburg mit einer geschichtsträchtigen Bierkultur. Aber schon im 12. Jahrhundert wurde die Elbmetropole als das „Brauhaus der Hanse“ bezeichnet. Die Senatsbock-Tradition stammt aus den 1950er-Jahren, als fünf Brauereien sich zusammenschlossen, um ein gemeinsames Bockbier zu brauen. Zum Anfang des neuen Jahres wurde dieses dann mit einem großen Fest angestochen und somit die Bockbiersaison eröffnet. Die Tradition ging wie so viele über die Jahre verloren und wurde erst 2013 wiederbelebt.

Gegen Ende 2013 trafen sich die Brauer von BLOCKBRÄU, dem Brauhaus Joh. Albrecht, der Gröninger Privatbrauerei, der Kehrwieder Kreativbrauerei und der Ratsherrn Brauerei. Das Ziel: Eine neue Rezeptur für den Senatsbock zu entwickeln und ihn gemeinschaftlich einzubrauen. Im Oktober 2014 war es dann so weit: Der Plan, die Rezeptur und auch „das Drumherum“ für das Aufleben der Senatsbock-Legende standen fest. Gebraut wurde mit fünf Malzen, der Liebe zu Hamburg und zum Brauhandwerk. 2018 kamen dann mit dem Wildwuchs Brauwerk, der Landgang Brauerei und den ÜberQuell Brauwerkstätten drei weitere Brauereien dazu, sodass nun acht Hamburger Brauereien an den Kesseln tüfteln. Seitdem wird zwar nicht mehr gemeinsam gebraut, aber dennoch gemeinschaftlich die Tradition fortgeführt. Jede Brauerei bekommt das Grundrezept des Senatsbocks und kann es dann auf ihre Weise interpretieren. BLOCKBRÄU, das Brauhaus Joh. Albrecht und die Gröninger Privatbrauerei treffen sich noch zum gemeinsamen Brauen und so ergeben sich sechs unterschiedliche Bockbiere von acht Brauereien.

Senatsbockanstich in Hamburg 2020
© Kevin Müller

Senatsbockanstich vor Corona

Wir blicken einen kurzen Moment zurück. 28. Januar 2020, Corona ist zu diesem Zeitpunkt noch ein Virus im fernen China und kaum der Rede wert. Im Keller des Rathauses in einem wunderschönen Gewölbe haben die acht Brauereien ihre Stände aufgebaut und schenken an diesen ihre Version des diesjährigen Senatsbockes aus. Das aber natürlich erst nach dem offiziellen Senatsbockanstich, einem Gruppenfoto und den sonstigen Ritualen, die zu so einem Fest nun mal dazugehören. Es wird fleißig durchprobiert, sich am Buffet bedient und mit Brauern und anderen Bierbegeisterten über Hopfen und Malz diskutiert. Ein traditionelles Ereignis, gepaart mit dem trendigen Craftbier-Gedanken, das auch in diesem Jahr so wieder stattfinden sollte. Und dann kam …

Senatsbockanstich während Corona

Wir kennen sie alle mittlerweile schon (fast) auswendig: die Corona-Regeln. Sie machen ein Fest, wie oben beschrieben, unmöglich. Die acht Brauereien haben es sich aber nicht nehmen lassen und dennoch einen Senatsbock 2021 eingebraut. Wie in jedem Jahr wurde von den Brauereien das Grundrezept als Basis genommen und dann individuell ausgelegt. Um das Bier unter die Leute zu bringen und es nicht einfach nur im Getränkemarkt zu verkaufen, wurde der Senatsbockanstich als Online-Verkostung umgesetzt. Im Talk-Show-Format wurden die einzelnen Biere, die man vorab online kaufen konnte, von den Brauern selbst vorgestellt. Ergänzt durch Geschichten rund um die Hamburger Bierkultur und Fragen aus dem Chat und kurzen „Pipi-Pausen“ ergab das knapp drei Stunden Facebook Live. Auf der offiziellen Facebookseite des Senatsbocks kann man sich diese auch noch im Nachgang anschauen. Wo es die passenden Biere dazu gibt, erfahrt ihr hier.

Senatsbockanstich Online 2021
© Kevin Müller

Und die Senatsböcke? Wie schmecken die?

Lecker! Ok, ein bisschen ausführlicher geht es schon. Vorweg sei aber zu sagen, dass ich selbst als Bierkennerin immer wieder erstaunt bin, was Brauer so alles zaubern können. Denn aus einem festgelegten Grundrezept sind sechs komplett unterschiedliche Bockbiere geworden.

Wildwuchs Brauwerk – „Der Süße“: Mit 5,5 Prozent der leichteste Senatsbock in der Runde. Geschmacklich aber muss sich der Bock von Brauer Fiete nicht verstecken. Durch den geringen Alkoholgehalt bei 18 % Stammwürze kommt das Bier mit einer Menge Restzucker daher, die diesen Senatsbock zu einem echten Dessertbier machen.

BLOCKBRÄU, Brauhaus Joh. Albrecht, Gröninger Privatbrauerei – „Der Klassische“: Diese drei Brauereien brauen ihren Senatsbock noch zusammen. Der wohl klassischste Vertreter in der Runde hat 7,7 % Alkohol, der aber gefährlich gut versteckt ist. Dieser Senatsbock hat von den Brauern besonders viel Zeit bekommen und wurde vier Monate gereift.

Ratsherrn Brauerei – „Der Fassgelagerte“: Brauerin Jule stellt die Barrel Aged Version, den Senatsbock von der Ratsherrn Brauerei, vor. Dieser ist sozusagen aus den „Resten“ der letzten Jahre gebraut. So wird jedes Jahr der neue Senatsbock mit dem Senatsbock aus dem Jahr davor verschnitten, also miteinander vermischt. Dieser lag derweilen in einem Barriquefass und bringt wunderbare Sherry-Noten mit. In diesem Jahr trinken wir also den 7. Jahrgang des Ratsherrn Senatsbocks.

Kehrwieder Kreativbrauerei – „Salted Caramel“: Die Idee so einfach wie genial: Salted Caramel. Ein Megatrend, den Brauer Olli Wesseloh mit dem diesjährigen Senatsbock in die Flasche gebracht hat. Hier trifft auf die Zutaten des Grundrezeptes belgischer Kandiszuckersirup und Meersalz und macht diesen Doppelbock wohl zum Komplexesten in der Runde.

ÜberQuell – „Der Feuerbock“: Wer dachte, dass Salted Caramel verrückt ist, der wird staunen. Die Brauer von ÜberQuell haben ihren Senatsbock mit Kakaonibs und Habanero Chili verfeinert. Der „Feuerbock“ hat 8 % Alkohol und wunderbare Schokoladen- und Chilinoten. Und keine Sorge, die Schärfe ist super eingebunden und macht das Bier nicht so scharf, dass man danach ein Glas Milch trinken müsste.

Landgang Brauerei – „Der Hopfige“: Last but not least, stellt die Landgang Brauerei ihren Senatsbock vor, der die Bandbreite komplett macht. Hier haben die Brauer ein eher malzbetontes Bockbier in eine wahre Hopfenbombe verwandelt. Bekannt als Black IPA sind diese dunklen hopfenbetonten Biere in der Craftbier-Szene bereits ein Begriff. Mit dem hopfigen Senatsbock trifft dieser Bierstil nun hoffentlich auch auf die breite Masse.

Eine ausführliche Beschreibung aller Senatsböcke inklusive der Bewertung der „Sexiness im Glas“ und des Flaschendesigns gibt es bei den Jungs von Männerabend in ihrem Craftbier-Podcast. Und am besten bestellt ihr euch die sechs Bockbiere nach Hause und probiert euch mal durch.

Senatsbockanstich Biere 2021
© Kevin Müller

Ein Senatsbockanstich online: Geht das? Ein Fazit

Ja, es geht, aber es ist einfach nicht das Gleiche. Ich denke, dass das allen klar ist und niemand den Anspruch hatte, dass eine Online-Veranstaltung über Facebook ein Event wie den Senatsbockanstich ersetzen kann. Ich bin den Brauereien sehr dankbar, dass sie sich der neuen Bedingungen angenommen, uns trotzdem sechs fantastische Biere gebraut und uns diese sogar noch live etwas nähergebracht haben. Eine tolle Abwechslung in dem doch eher eintönigen Corona-Alltag. Und einen großen Vorteil hat so ein digitales Event: Der diesjährige Senatsbockanstich hatte keine geografischen Grenzen, bis auf die des Versandgebiets. So konnten nicht nur Hamburger und diejenigen, die die Anreise auf sich nehmen würden, teilnehmen und die Hamburger Biergeschichte konnte etwas weiter hinausgetragen werden. Dennoch freue ich mich einfach darauf, 2022 wieder persönlich mit jedem Brauer und seinem Senatsbock anzustoßen.

Habt ihr euch bei einer Bierverkostung schon mal gefragt: „Warum schmecken wir, was wir schmecken?“ Dann hat unsere Brot- und Biersommelière Sandra die Antwort für euch.


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Autorin: Candy Sierks
Datum: 04.02.2021



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