Am 01. Februar 2020 fand zum zweiten Mal der V-Edge-Kongress in München statt. Wieder hatten die ehrenamtlichen Organisatoren Sprecher zu unterschiedlichen Themen eingeladen, um neue Erkenntnisse und Entwicklungen im Bereich Veganismus an interessierte Menschen weiterzugeben, die vegane Community zu stärken und den Austausch untereinander zu fördern. Rund 250 Teilnehmer waren vor Ort, überwiegend junge Leute, mit der bei Ernährungsthemen gewohnt hohen Frauenquote.
Kuhmilch ohne Kuh – Wer hat’s erfunden?
Wie schon im letzten Jahr bildeten tierische Produkte aus dem Labor einen der Themenschwerpunkte des Kongresses. Ging es 2019 allerdings noch um Clean Meat – also durch Zellvermehrung produziertes in-Vitro-Fleisch – stellte dieses Mal Raffael Wohlgensinger, Gründer und CEO des schweizer Start-ups Legendairy Foods, die Biotechnologie von Clean Dairy vor. Er erklärte, dass die Produktion von Milch und Käse aus dem Labor zwar etwas anders funktioniere als die von Fleisch, da es hier um azelluläre Produkte ginge, die mithilfe von Hefe und Fermentation hergestellt werden könnten, das Ziel sei aber das gleiche: ein „echtes“ tierisches Produkt schaffen, ohne dass ein Tier dafür leiden muss. Erste Life-Circle-Analysen wiesen zudem darauf hin, dass die Herstellung von Clean Dairy hinsichtlich Wasser und Energieverbrauch sehr viel effizienter sei als die klassische Produktion. Dieses müsse allerdings noch verifiziert werden. Derzeit arbeite das Unternehmen an der Herstellung von Ricotta und Mozzarella, denn bei Käse sei der „Pain Point“ beim Verbraucher größer als bei Milch, so Wohlgensinger.
Legendairy Foods ist das erste Unternehmen in Europa, das sich mit der Entwicklung von Clean-Dairy-Produkten beschäftigt und so endete der Vortrag mit einem Appell, es müsse in Europa mehr in die Technologie und entsprechende Start-ups investiert werden, wenn man sich nicht von den USA abhängen lassen wolle.
Über Kutschen, Autos und die Zukunft des Essens
Über ethische Fragen von Clean Meat und Clean Dairy sprach zuvor der Philosoph und Sozialunternehmer Adriano Mannino. Sein einleitender Vergleich über die Entwicklung der Mobilität von der Kutsche hin zum Auto machte seinen Standpunkt deutlich. Auch Ende des 19. Jahrhunderts, als Kutschen noch das Haupttransportmittel waren, habe es Organisationen gegeben, die sich gegen diese Form der Tierquälerei einsetzten. Eine wirkliche Veränderung hätte aber erst die Erfindung des Automobils gebracht. Neben moralischer und politischer Überzeugungsarbeit sei ein solcher „technologischer Fix“ auch hinsichtlich tierischer Lebensmittel nötig, um eine globale Veränderung herbeizuführen. Ein überzeugtes Europa allein reiche nicht, auch für Länder wie China und Indien brauche es Lösungen.
Weitere Vorträge am Vormittag beschäftigten sich mit veganem Futter für Hunde, mit bio-veganer Landwirtschaft sowie mit Tierrechts- und Umweltaktivismus.
In einer Podiumsdiskussion mit Adriano Mannino, Tessa Zaune-Figlar (Gründerin und Geschäftsführerin von VEGDOG), Mischa Sysoev (Gründer und CEO von pläin) und Lia Schmökel (Gründerin von Nutrition Hub) wurden Fragen rum um Nachhaltigkeitsaspekte von Lebensmitteln und auch deren Verpackung erörtert, es wurden Möglichkeiten diskutiert, wie sich eine pflanzliche Ernährung weiter verbreiten lässt und was jeder Einzelne dafür tun kann, sowie ob es sinnvoll ist, vegane Produkte mit einem Label zu kennzeichnen, oder ob dies nicht auch den Effekt haben kann, dass sie genau deshalb nicht gekauft werden.
Vegane Ernährung im Leistungssport
Im gut besuchten Vortrag von Constantin Preis berichtete der Leistungssportler von seiner Umstellung auf eine vegane Ernährung. Auf Grund von Muskelverhärtungen und verminderter Leistungsfähigkeit hatte er begonnen, seine Ernährung zu verändern, und mit veganer Kost positive Ergebnisse erzielt. Er sei aus gesundheitlichen Gründen Veganer geworden, letztlich seien es aber vor allem ethische Aspekte gewesen, die ihn dazu gebracht hätten, es auch zu bleiben. Als Leistungssportler habe er auch viel mit kritischen Stimmen zu seiner Ernährungsweise umgehen müssen, er habe aber gelernt, auf seinen Körper zu hören, und festgestellt, dass die richtige Ernährung auch für die im Leistungssport besonders gefragte mentale Belastbarkeit eine wichtige Rolle spielt.
Häufige Fehler bei einer vegane Ernährungsweise
Über die fünf häufigsten Fehler bei einer veganen Ernährung sprach im Anschluss Ernährungsberaterin Patricia Faut. Diese bestehen aus ihrer Sicht in der „Hafer-Nudel-Brot-Falle“, also einer zu einseitigen Ernährung, in einer zu geringen Kalorienzufuhr, einer zu plötzlichen und zu drastischen Erhöhung des Ballaststoffanteils, darin, sich in Details zu vertiefen und sich auf spezielles Functional Food zu fokussieren und dabei das große Ganze – also die eigentliche Ernährung – aus den Augen zu verlieren sowie Nährstoffe ohne entsprechenden Bluttest zu supplementieren oder auch nicht zu supplementieren.
Tierische oder pflanzliche Ernährung – Was birgt mehr Risiken für Kinder?
Ob sich vegane Ernährung auch im Kindesalter eignet, war das Thema von Carolin Wiedmann, Kinderärztin sowie Mitgründerin und 1. Vorsitzende der Physicians Association for Nutrition (PAN). Einleitend griff sie die Frage auf, was überhaupt eine gesunde Ernährung sei, und dass hier entgegen der Wahrnehmung vieler Menschen eigentlich Einigkeit herrsche, nämlich, dass sie überwiegend aus pflanzlichen Lebensmitteln bestehen sollte.
Eine Übersicht über Stellungnahmen verschiedener Gesundheits- und Ernährungsorganisationen zeigte positive Bewertungen einer pflanzlichen Ernährung im Kindesalter, aber auch einige zurückhaltende oder ablehnende Stimmen. Voraussetzung sei in jedem Fall ein hoher Kenntnisstand der Eltern bezüglich einer veganen Ernährung und den hierbei kritischen Nährstoffen, machte Wiedmann deutlich. Sie zeigte aber auch die Risiken auf, die tierische Lebensmittel mit sich bringen, wie multiresistente Keime, die durch industrielle Tierhaltung verursacht werden, die Gefahren, die bei der Verarbeitung von Geflügelfleisch entstehen oder die Aufnahme von Umweltgiften. Hierzu führte Wiedmann als Beispiel Dioxin an. Die Grenzwerte für Dioxin wurden unlängst nach unten korrigiert – ein 10 kg schweres Kind würde diesen Grenzwert mit einem Glas Vollmilch (250 ml) bereits deutlich überschreiten, so Wiedmann. Die Studienlage zu veganer Ernährung von Kindern sei allerdings schlecht, räumte sie ein. Es gebe nur wenige und veraltete Studien, ein Licht am Horizont sei die VeChi-Studie, deren erste Ergebnisse ein normales Wachstum von vegetarisch und vegan ernährten Kindern nahelege.
Über Kommunikation, Aktivismus und die Zukunft von V-Edge
Den Abschluss des Tages bildete das unterhaltsame Duo der YouTube-Influenzer Gordon und Aljosha von „Vegan ist ungesund“, die über ihre Erfahrungen und die Kommunikation zwischen Veganern und Nicht-Veganern sprachen, sowie ein Panel über veganen Aktivismus und wie man selbst aktiv werden kann.
„Wir sind sehr zufrieden mit dem Kongress und freuen uns über das viele positive Feedback, das uns jetzt schon erreicht“, so Daniel Valenzuela, einer der ehrenamtlichen Organisatoren, auf Nachfrage. „Es war zwar noch sehr hektisch und viel zu tun die letzten Tage, aber es hat sich gelohnt.“ Und auf die Frage, ob der Kongress im nächsten Jahr wieder stattfindet: „Ja! Aber es hängt natürlich alles an den ehrenamtlichen Mitarbeitern. Da zwei von uns aus München wegziehen werden, brauchen wir unbedingt noch Unterstützung. Wer Lust hat, kann sich gerne bei uns melden.“
Hier könnt ihr nachlesen, worum es im letzten Jahr beim V-Edge-Kongress ging. Und auch mit dem Thema Clean Meat haben wir uns auf unserem Branchentreff schon ausführlich beschäftigt.