Die Brauereien, die ich auf meinem Trip durch Englands Südwesten im Sommer besucht habe, könnten auf den ersten Blick hinsichtlich Geschichte, Größe, Brautradition und Produktangebot unterschiedlicher nicht sein. Und dennoch haben sie einen entscheidenden gemeinsamen Nenner: die Liebe zur handwerklichen Braukunst. Zudem waren sie alle perfekte Gastgeber, die sich viel Zeit genommen, gerne die Sudkessel geöffnet haben und mit großer Begeisterung von dem erzählten, was täglich hinter den Brauereitoren passiert: das Brauen von Ales, dem klassischen britischen Bierstil.
Tradition verpflichtet
St. Austell/Cornwall: Im Herzen von Cornwall am Berg, ein wenig außerhalb des kleinen Orts, liegt die St. Austell Brewery, die James Staughton in der fünften Generation führt. Gegründet wurde sie 1851 von seinem Urgroßvater Walter Hicks, der ursprünglich Farmer war. Zuerst nur ein Pub, in dem in kleinen Chargen Bier für den Hausgebrauch gebraut wurde, ist die Brauerei heute auf eine stattliche Größe von 150.000 Hektoliter angewachsen; proper job, kann man da nur sagen. So heißt übrigens auch das India Pale Ale von St. Austell. Mit zur Brauereifamilie gehört seit über einem Jahr auch Bath Ales Limited.
In der Produktion wirkt Headbrewer Roger Ryman, der seit 1999 an Bord und für die tolle Biervielfalt verantwortlich ist. Neben den klassischen Ales sorgen seine „small batch brews“ in jüngster Zeit für ausgezeichnete Aufmerksamkeit. So hat das Sayzone in der neu ausgeschriebenen Kategorie „New Style Session“ beim diesjährigen European Beer Star, einem der härtesten Bierwettbewerbe weltweit, locker die Goldmedaille abgeräumt. Ein weiterer Brew, der mich begeistert hat, ist der Cornish Tiergarten, eine Berliner Weisse, gebraut von der deutschen Brauerin Kim, die aus Berlin stammt. Auch die Berliner Weisse ist wie alle anderen Sonderbiere im „Brewmasters Playground“ gebraut worden – so nennt Roger seine kleine Versuchsbrauerei mit einem Augenzwinkern. Tradition und ein alteingesessener Standort haben aber nicht nur Vorteile. Das Betriebsgelände hat sich über die Jahre hinweg immer weiter den Berg hinauf ausgebreitet, und jede Vergrößerung stellt Roger vor eine spannende Herausforderung. Da muss ein Whirlpool (zur Würzeklärung) auch mal im Freien aufgestellt und das fertig gebraute Bier über eine unterirdische Leitung in der Nacht den Berg hinauf zur Abfüllung gepumpt werden. Übrigens wird, trotz modernster Brautechnologie, seit 1912 jeder Sud immer noch handschriftlich im sogenannten Brewing Journal notiert.
Die Biere werden in den eigenen Pubs in Cornwall ausgeschenkt, sind aber auch in den Regalen von Supermärkten gut platziert. Über 60 Prozent verlassen die Brauerei in Fässern, ein weiteres Drittel geht in Flaschen abgefüllt auf die Reise. Wer in Südengland Urlaub macht, kommt an einem St.-Austell-Bier nicht vorbei, und das ist auch gut so, finde ich.
Denn sie lieben, was sie tun
Swindon/Southwest England: Headbrewer Alex Arkell, sechste Generation bei Arkells Brewery, ist passionierter Brauer; das spürt man bei jedem Wort, bei jedem Handgriff, beim Gang durch die Brauerei. Hier wird Wert gelegt auf Tradition und den Erhalt klassischer Braumethoden und Bierstile. Für ihn und seine beiden Brüder war immer klar, dass sie ins Familienunternehmen einsteigen werden. Die Brauerei ist wie St. Austell auch Mitglied bei den Independent Family Brewers of Britain (IFBB), ein Verband ähnlich dem der Freien Brauer, und so habe ich Alex auch kennengelernt. Aber nicht nur die Arkell-Brüder fühlen sich der Tradition verpflichtet, in der Brauerei herrscht grundsätzlich eine genrationsübergreifende Leidenschaft fürs Brauen. Und so ist nicht nur die Inhaberfamilie eng mit der Brauerei verwachsen, auch in den Familien der Mitarbeiter werden manche Posten einfach an die nachfolgende Generation vererbt. Ein Phänomen, das man sich in der schnelllebigen Zeit heute kaum noch vorstellen kann. Einige der Brauer haben bereits in der zweiten oder dritten Generation ihren Job vom Vater in die Wiege gelegt bekommen. Ihnen kann man in Sachen Brauen nichts vormachen, und sie kennen die teilweise historischen Brauanlagen mit all ihren Tücken und kleinen Macken. Wenn die alte Mühle, die 1908 aufgestellt wurde und noch mit Transmissionsantrieb arbeitet, ein wenig ächzt oder der Kupfersudkessel für ungeübte Ohren ungewöhnliche Geräusche von sich gibt, wissen sie genau, wo der nächste Handgriff erfolgen muss. Und überhaupt wird in der Brauerei noch sehr viel Wert auf Handarbeit gelegt. Das Malz beispielsweise wird nicht in Silos gelagert, sondern nach wie vor in Säcken von der Mälzerei angeliefert und dann von Hand in der Mühle geschrotet. „Natürlich ist das beschwerliche Arbeit, aber wir sind überzeugt davon, dass viele der alten Methoden wichtig sind für den Geschmack und Charakter des Bieres“, erklärt Alex.
Auch Alex’ Vorfahre James war eigentlich Farmer (eine weitere Parallele zu St. Austell) und hat als zusätzliches Standbein eine Micro Brewery mit angeschlossenem Pub eröffnet, zu einer Zeit, als Swindon noch ein unbedeutendes kleines Örtchen war. Durch den Bau der Eisenbahn ist der Ort jedoch in kurzer Zeit rasant gewachsen, und die Arbeiter hatten jede Menge Durst, vor allem Bierdurst, sodass die kleine Brauerei die Ausstoßmenge fast monatlich steigern konnte. Mit der Fertigstellung der Eisenbahn siedelten sich größere Industriebetriebe an; Swindon prosperierte, und die Brauerei partizipierte an dieser Entwicklung. Mittlerweile hat die sechste Generation, die Brüder Arkell, die Zügel fest in der Hand; dennoch ist Vater James im Betrieb noch ein wichtiger Aktivposten.
Bei den Bieren in ihrem Standardsortiment handelt es sich um klassische, runde Ales, ergänzt durch ein paar fancy Saisonbiere, denn nur Tradition ohne Innovation wäre Alex doch ein wenig zu langweilig. Acht Biere gehören zum festen Sortiment der Arkells, und jeden Monat kommt eine Art Saisonbier hinzu, um den Stammgästen immer wieder etwas Neues zu bieten. Vier der Stammbiere werden im Keg ausgeliefert und sind filtriert, bei den restlichen handelt es sich um Cask-Biere. „Unser Anspruch ist es, das beste Bier der Region zu brauen und es dort auch zu verkaufen“, erklärt Alex die Unternehmensmaxime, die nicht komplett in Stein gemeißelt ist: „Natürlich sagen wir nicht Nein, wenn uns ein Pub in einer spannenden Gegend weiter weg angeboten wird. Wenn alles stimmt, übernehmen wir diesen in unser Unternehmen. Mein Bruder George kümmert sich um die Pubs und verantwortet diesen Unternehmenszweig komplett eigenverantwortlich. Wir haben gut 100 Pubs, wobei gut 20 Prozent davon unsere eigenen Pubs sind, in denen wir von der Konzeption bis zur Umsetzung der Speise- und Getränkekarte alles managen. Die restlichen werden von Verpächtern betrieben, die neben unseren Bieren auch noch andere ausschenken können.“ Eine tolle kleine Brauerei mit überzeugendem Standing in der Region. Ach ja, auch Alex notiert noch jedes Rezept handschriftlich in einem alten Buch, das seit Generationen von Brauer zu Brauer weitergegeben wird.
Auf dem Land zwischen wilden and cleanen Bieren
In the middle of nowhere begrüßt mich Giles Jenkinson, Head of Sales bei Wild Beer Co. Eine noch sehr junge Brauerei, die ihre Biere mit einem recht ungewöhnlichen Ansatz entwickelt; die Brauer trinken, essen oder erleben eine Spezialität, einen Nachtisch, einen besonderen Genussmoment und überlegen dann, wie sie das Erlebte in ein Bier packen können. Dabei kommen spannende Biere in die Flasche. Die Hälfte ihrer Biere sind „wild“, also in Spontanvergärung entstanden; den Rest bezeichnen sie als „clean“.
„There exists definitely a hunger for a new taste among a small portion of the cosumers, but we can‘t ignore the rest of the market“, legt Giles die aktuelle Situation dar. Die wilden Aktionen, aus denen so ungewöhnliche Biere wie das „Billionaire“ (Imperial Stout + Caramelised Miso + Tonka Beans + Intense Decadence) und das „Of the Sea“ (Lobsters + Cockles + Seaweed + Sea Salt + Sea Herbs) resultieren, sind eine Seite der Medaille, aber auch bei Wild Beer sind die Topseller klassische Qualitätsbiere wie das Pale Ale, ein gefälliges, leicht hopfenbetontes, harmonisches, obergäriges Ale. Und hier schließt sich der Kreis zu den traditionellen Brauereien Südwestenglands, die ich besucht habe. Gestartet mit kreativen Raritäten musste Wild Beer in den vergangenen fünf Jahren, die durch ein kontinuierliches Wachstum geprägt waren, feststellen, dass sich der Markt zwar verändert, aber eben nur langsam. Und daher braut auch eine neu am Markt befindliche Brauerei Biere, die gefällig und alltagstauglich sind. Lediglich ein Prozent des jährlichen Ausstoßes der Brauerei im Herzen von Sommerset fällt in die Kategorie „wild and sour“. Diese werden weltweit nachgefragt; gut ein Viertel der Produktion steht in 24 Ländern in den Regalen von Spezialitätengeschäften, auch in Deutschland. Wer es also mal ganz wild im Glas treiben möchte, kann sich beispielsweise ein mit Sauerteigkulturen gebrautes Bier von Wild Beer einschenken.
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