Holger Knieling, Vorstand der BÄKO-Zentrale eG, hat die backende Branche zu seinem 30sten und auch letzten Workshop eingeladen, den er verantwortet, bevor er sich in den Ruhestand verabschiedet. Und die Branche ist gekommen; über 300 Teilnehmer waren dabei, als sich in Bonn Ende Oktober alles um die Themenfelder „Storytelling“ und „Filialmanagement in all seinen Facetten“ drehte. Wobei das wirkliche Motto des BÄKO-Workshops 2018 Empathie war; es zog sich durch alle Vorträge, durch alle Präsentationen. In Referaten und Veranstaltungselementen wurde die Betonung darauf gelegt, wie wichtig es ist, nicht nur für seinen Beruf, sein Handwerk, seine Produkte und seinen Betrieb zu brennen, sondern diese Begeisterung auch über die Backstuben hinaus an die Mitarbeiter und Kunden zu kommunizieren und sie an der Leidenschaft für den Beruf und die Backwaren teilhaben zu lassen.
30 Jahre BÄKO-Workshop unter Federführung von Holger Knieling
Knieling wirft in seiner Laudation einen Blick zurück zu den Workshop-Anfängen vor 30 Jahren: „Damals haben wir gar nicht so sehr in die Zukunft geschaut und überlegt, wie lange der Workshop stattfinden wird. Was wir jedoch sehr schnell gelernt haben, war, dass wir im Hinblick auf den Standort schon zwei bis drei Jahre vorausschauen müssen, um den Teilnehmern einen thematisch passenden Rahmen sowie die richtige Location bieten zu können. In der Anfangszeit haben wir noch nach dem Motto gelebt, dass nach dem Workshop stets vor dem Workshop ist.“ Die Wahl des Veranstaltungsorts Bonn in diesem Jahr war historisch begründet. Holger Knieling hat damit den Kreis zu den ersten Veranstaltungen geschlossen und eine Ära, seine Workshop-Ära, beendet. Für ihn stellt Bonn als traditionelle Bäckerstadt die Entwicklung in der backenden Branche par excellence dar. Im Jahre 1750 versorgten 50 zünftige Bäcker eine Einwohnerzahl von 10.000 mit frischem Brot und Backwaren; heute stehen nach wie vor 50 Innungsbetriebe in den Büchern, die jedoch für 300.000 Einwohner die Bezugsquelle von Brot, Backwaren und Feingebäck darstellen. Er verspricht den Teilnehmern bei der Begrüßung, dass die beiden Kernthemen von verschiedensten Seiten beleuchtet werden, internationale Redner interessante Beispiele zur Bebilderung mitbringen werden und in viele verschiedene Backstuben blicken lassen.
Begrüßung durch Michael Wippler, Präsident des Zentralverbands der Bäcker
Michael Wippler ließ es sich nicht nehmen, Holger Knieling für sein langjähriges Engagement für die Branche zu danken: „Das ganze Programm klingt rund und unterstreicht Ihren Ruf, Herr Knieling, den Sie in der Branche genießen, und zwar, dass Sie nicht nur ein fleißiger Workshopper, sondern auch ein Genießer sind.“ Für das kulinarische Genusserlebnis am Galaabend war Nelson Müller eingeladen, der am ersten Abend auch Einblicke in seine beruflichen Stationen, sein Learning aus verschiedenen Situationen zum Besten gab und zudem mit seiner Band am ersten Abend für musikalische Genüsse sorgte. Das Buffet am ersten Abend, noch nicht aus der Feder von Nelson Müller, war als eine Art Reise nach Rom angelegt, denn es war nur für jeden zweiten Teilnehmer ein Sitzplatz vorgesehen. Auf diese Weise war viel Bewegung in der Teilnehmerschaft und das Netzwerken wurde aktiv betrieben. Bevor es jedoch ans Buffet ging, rüttelte Ralf Schmitt, Moderator, Redner, Buchautor und Experte für Flexibilität, unter der Überschrift „Moment mal! Empathie im Minutentakt!“ auf und forderte das Publikum durch Fragen und Aktionen zum Mitmachen und Erleben seiner Vortragsinhalte auf. Er animierte dazu, die eigene Fehlerkultur sowie die Ja-Kultur im Unternehmen zu hinterfragen, denn der innere Zensor hält uns seiner Meinung nach davon ab, empathisch und flexibel, also offen für Neues zu sein. Er findet, dass man gerade aus Fehlern lernen kann und daher die Fehlerkultur fördern soll: „Wir müssen die Mitarbeiter losschicken und fördern, die die beste Fehlerkultur, das beste Fehlermanagement haben. Und zudem jeden Tag etwas machen, das uns eigentlich Angst bereitet.“ So bleibt man spontan, flexibel und empathisch.
Nelson Müllers fünf Zutaten für erfolgreiche Unternehmen
Im weiteren Verlauf des Abends erzählte Nelson Müller seinen bisherigen Werdegang im Zwiegespräch mit Holger Knieling, der ihn nach seinen Berufsstationen befragte und natürlich die Intension, die hinter der Berufswahl stand, in Erfahrung bringen wollte. Müller hatte die Aufgabe erhalten, den Anwesenden zu berichten, was in der neuen Ess-Klasse auf die Bäcker zukommen wird. Dazu hat er fünf Zutaten mitgebracht: Handwerk mit Herz; Essen als soziales Tattoo, da es schon lange nicht mehr darum geht, satt zu werden; Essen ist Prestige; Schritte in die Selbstständigkeit wagen; Mitarbeiter; Motivation.
Handwerk mit Herz
Seiner Meinung nach ist, „(…) Handwerk sehr viel mehr als nur das bloße Tun; es hat sehr viel mehr Facetten“, so Nelson Müller, der als Botschaft des Abends die Teilnehmer animierte, dass sie das Handwerk emotionalisieren sollen. Er selbst hat das Macher-Gen in seiner Jugend in Schwaben mit auf den Weg bekommen, die Mentalität von Baden-Württemberg hat ihn geprägt und war für seine Entscheidung hin zum Unternehmer ausschlaggebend. „Nach einem halben Jahr in der Lehre war mir klar, dass ich in die Sterneküche wollte.“ Und er ist seiner Vision mit durchdachten Schritten und Stationen zielstrebig nachgekommen.
Essen als soziales Tattoo
„Alles rund ums Kochen und ganz neu Backen ist jetzt in. Den Kochshows folgen nun immer mehr Backshows im TV, aber auch bei Bäckern vor Ort. Und junge Leute wissen enorm viel über Lebensmittel, Ernährung und Kochen. Das hat mich zuerst überrascht. Die 15-Jähigen wollen einen sexy Body haben, gehen nicht mehr so viel in Clubs und haben erkannt, dass Ernährung ein wichtiger Beitrag zum Wohlfühlen und Gesundsein ist. Ich glaube aber auch, dass wir die ganzen Lebensmittel kaufen, weil wir ein Statement setzen wollen und damit Ernährungsformen zum Statussymbol machen.“ Eine spannende Entwicklung, die seiner Meinung nach für Köche und Bäcker ein großes Potenzial birgt: „Eigentlich ist es total cool, dass wir eine Gesellschaft haben, die sich jetzt damit beschäftigt. Es ist für uns alle eine große Chance, die Menschen zu begeistern. Hier müssen wir reagieren und Lösungen anbieten.“
Gemeinsamkeiten und Zeitgrenzen
„Ein Sternemenü ist immer nur so gut, wie sein Brotkorb.“ Es geht immer auch darum, wie und welches Brot man kauft oder eben im Restaurant selber bäckt. „Eigentlich sind Bäcker und Köche vom gleichen Schlag, aber wir sehen uns leider viel zu selten. Wenn wir aufhören zu arbeiten, starten die Bäcker in den Backstuben durch“, hinterfragt er die noch verhaltene Zusammenarbeit unter den beiden Handwerken und entlässt die Teilnehmer mit dem Zitat: „I was born to make mistakes, not to fake perfection“ in den geselligen Abend.
Dos and Don’ts in der Filialsteuerung
Oliver Vogt, Unternehmensberater und Geschäftsführer der Gehrke econ Unternehmensberatungsgesellschaft mbH, schöpft aus einem großen Fundus an Kennzahlen und Praxisbeispielen, anhand derer er den Teilnehmern am zweiten Tag des BÄKO-Workshops in einer sehr zahlenbasierten Präsentation mögliche Wege der Filialsteuerung aufzeigte. Er hinterfragte, ob es sinnvoller und erfolgreicher ist, Standardisierung als Maßstab in der Unternehmensführung zu setzen oder sich der Flagship-Mentalität zu verschreiben. Allem voraus muss die Standortwahl mit sehr großer Sorgfalt betrieben werden; egal ob man sich der System- oder der Flagship-Theorie verschrieben hat. Dies konnte er mit sehr anschaulichen Zahlen aus seinem Berufsalltag darlegen: „Im Snackbereich ist das Bäckerhandwerk sehr attraktiv. Das wird auch in der Systemgastronomie bemerkt. So ist Hans im Glück aktuell der abschreckendste Feind von McDonald‘s & Co.“ Und egal, wie jeder Bäcker seine Standorte der Zukunft definiert und in der Praxis steuert, wichtig sind für die erfolgreiche Umsetzung Mitarbeiter, für die man Zeit haben und sich Zeit nehmen muss.
Mit Geschichten überzeugen
Prof. Dr. Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tübingen, erforscht den Medienwandel im digitalen Zeitalter, analysiert die Inszenierungsstile und zeigt konstruktive Möglichkeiten auf, wie man behutsam und sinnvoll mit diesen umgehen kann. Geschichten sind so alt wie die Menschheit selbst. Sie beflügeln Fantasie und Kreativität, rufen Gefühle wach, schaffen Verbundenheit. Damit sind sie weitaus ansprechender, als schiere Sachinformationen. Denn der Mensch ist ein „Storytelling Animal“; er denkt in Geschichten, Geschichten sind mächtig, erregen Aufmerksamkeit, liefern Erklärungen, wirken über Bilder, enthalten indirekte Appelle, geben keine Anweisungen und bevormunden nicht. Image ist nichts weiter als die Summe der Geschichten, die über ein Unternehmen erzählt werden. Gute Geschichten faszinieren, weil sie Räume lassen, in denen sich Fantasien ausbreiten können, weil sie kein Ende haben. Gute Geschichten stoßen unsere eigenen Gedanken an und lassen ein Kopfkino starten, bei dem die Zuhörer, also die Kunden der Bäcker, selber zu Autoren und Mitspielern der Geschichte werden. In seinem mitreißenden Vortrag warnt Prof. Pörksen davor, nur eine einzige Geschichte zu erzählen. Für ihn gibt es vier Faktoren, die eine Geschichte zu einer guten machen: Sie ist archetypisch aktuell, arbeitet mit starken Bildern, erteilt keine Befehle und lässt Räume für eigene Gedanken. Wir können gespannt sein, wie die anwesenden Bäcker seine Tipps in die Praxis umsetzen und mitreißende Geschichten in der Zukunft erzählen werden.
Dies war lediglich ein Ausschnitt einiger Vorträge aus dem Gesamtprogramm des BÄKO-Workshops 2018. Auch das Rahmenprogramm war geprägt von Empathie und neuen Impulsen. So hat Sebastian Lege, Lebensmitteltechniker und bekannt aus dem TV, im BaseCamp Young Hostel, weltweit erster und einziger Indoor-Vintage-Campingplatz, in einer lockeren Moderationsrunde über seine Arbeit und Vision als Entwickler im Foodsektor geplaudert und im Anschluss Turbocrepes aus der Sprühdose an eine Wand geworfen.
Alles in allem eine tolle Netzwerk-Veranstaltung für die backende Branche, die hoffentlich unter neuer Federführung im Geist und Sinne von Holger Knieling weitergeführt werden wird. Der nächste BÄKO-Workshop findet vom 20. bis 22. Oktober 2019 in Berlin statt.
Noch mehr Empathie aus der backenden Branche gefällig? Dann ist das Interview mit Benjamin Profanter, Brotquerdenker aus Südtirol, auf unserem Blog genau das Richtige.