Wir wissen alle, dass wir besser die Treppe als die Rolltreppe nehmen sollten und dass die Birne ein ausgewogenerer Snack als der Schokoriegel ist. In der Realität steht man dann doch öfters auf der Rolltreppe oder hat einen süßen Snack in der Hand. Wäre es da nicht ganz praktisch, wenn wir ein bisschen in die gesündere Richtung gestupst würden?! Hier setzt Nudging an.
Der Begriff aus der Verhaltensökonomik spricht für sich: „Nudging“ bedeutet übersetzt „stupsen“. Und durch eine angepasste Umgebung wird man – auf die Ernährung bezogen – zu besseren Entscheidungen gestupst. Es ist quasi die Umkehrung der Verführung zum Mehressen durch XXL-Portionen.
Auf dem VDD-Kongress 2018 fand das Thema Nudging großen Anklang, denn es scheint ein Phänomen zu bedienen, mit dem die Ernährungsfachkräfte in ihrem Berufsalltag sehr oft konfrontiert werden. In der Theorie ist vielen Patienten klar, für welche Lebensmittel sie sich entscheiden sollten. Doch betrachten die Diätassistenten in der nächsten Beratungsstunde die Ernährungsprotokolle, wird deutlich, dass Wissen und Handeln nicht übereinstimmen. Welche Lebensmittel im Einkaufskorb und im Mund landen, ist im Alltag oft ein automatischer Prozess. Wer sich in der Kantine bislang immer an den griffbereiten Softdrinks bedient hat, der denkt nicht jede Mittagspause darüber nach, sondern greift einfach zu. Automatismen und Gewohnheiten machen unseren komplexen Alltag leichter. Eine Gewohnheit zu ändern, braucht viel Aufmerksamkeit und damit auch Energie.
An dieser Stelle kommt Nudging ins Spiel, denn die veränderte Umgebung leitet uns in eine bestimmte Richtung. Fast schon automatisch werden bessere Entscheidungen getroffen. In der Gemeinschaftsverpflegung wird Nudging oft mit der Platzierung einzelner Lebensmittel umgesetzt. Mineralwasserflaschen werden in Sichthöhe in die Kühlschränke verräumt, oder knackiges Obst wird anstelle von Süßigkeiten in der Wartezone an der Kasse platziert. Vorreiter für die Umsetzung von Nudging ist Google. Wenn die Mitarbeiter die Kantine in der kalifornischen Zentrale betreten, landen sie zuerst an der Salatbar. Den Käsekuchen muss man hingegen suchen.
Nudging praktisch umgesetzt
Diätassistentin und Psychotherapeutin Katharina Stapel zeigte in ihrem Vortrag beim VDD-Kongress 2018 viele unterschiedliche Beispiele auf, wie Nudging in der Praxis umgesetzt wird und wie der Mensch bei der Speisenauswahl tickt. Große gemeinsame Nenner und Antrieb: Spaß und Wettbewerb. Treppen, die als Piano umfunktioniert wurden und bei jedem Schritt Töne erzeugen, sorgten bei den Kollegen im Publikum genauso für Lacher und Kopfnicken wie das typische Verhalten am Büfett mit proppenvollen Tellern, aus Angst, etwas zu verpassen. Ob Gewohnheit oder Herdentrieb – Nudging macht sich beides zunutze.
Im Berufsalltag der Ernährungsfachkräfte ist daher Kreativität gefragt, will man beiden Faktoren ein Schnippchen schlagen. Ein erster Schritt ist die Darbietung des Essens. Werden Gemüse und Salate attraktiv präsentiert und besonders auf den Speisekarten hervorgehoben, erfahren sie mehr Aufmerksamkeit und werden nicht nur als Beilage zum Fleisch wahrgenommen. Süßigkeiten, die umständlich aus hohen Gläsern mit einer Zange gefischt werden müssen, bleiben eher liegen als mundgerecht geschnippeltes Obst.
Damit sich ein Nudge, also der Impuls zum besseren Verhalten, nicht abnutzt, muss er immer wieder variiert werden. Ob kleinere Teller oder größere Wassergläser, auch daheim kann man sich selbst zu einer ausgewogeneren Ernährung stupsen. Warum nicht mal die Süßigkeiten auf dem hohen Schrank deponieren und sich dafür die Obstschale auf den Schreibtisch stellen? Dass Nudging funktioniert, zeigt die blinkende Akkuanzeige am Smartphone, die sofort den Impuls auslöst, sich nach einer Steckdose umzusehen und das Ladekabel zu suchen. Es ist also mehr als einen Versuch wert, sich zu einem gesünderen Lebensstil schubsen zu lassen und Automatismen positiv für sich zu nutzen.
Wie abseits von Nudging die Zukunft der Ernährung aussieht, lesen Sie in einem weiteren Artikel.