Steffen Marx ist Chef vom Giesinger Bräu. Begonnen hat alles vor über zwölf Jahren, als er 2005 seine erste Brauanlage in einer leeren Doppelgarage in Untergiesing in Betrieb genommen hat. Heute arbeiten 35 Mitarbeiter im Braustüberl und der neuen Brauerei in Obergiesing, die aber auch schon wieder fast zu klein geworden ist. Dabei hat Steffen bis zu seinem 18. Lebensjahr gar kein Bier getrunken, als Zeitsoldat dann aber alles zügig nachgeholt, denn die Klischees, die man von der Bundeswehr so im Kopf hat, stimmen alle, so sagt er. Er ist auch kein Brauer, hat das Studium zum Vermessungstechniker an der Bundeswehrakademie geschmissen, weil er sich nicht noch länger verpflichten wollte. „Da hatte ich auf einmal ganz viel Zeit und habe mich letztlich 2005 entschieden, in Weihenstephan mit dem Braustudium anzufangen. Dazu war ein Pflichtpraktikum vorab Voraussetzung, bei dem ich bei einer Gasthausbrauerei im Münchner Umland den Braumeister getroffen habe, mit dem ich die ersten Schritte gemacht, die Brauerei gegründet und ein wenig in der Garage rumgedoktert habe.“ Das Braustudium hat er schnell sein lassen und sich lieber dem Brauen und Verkaufen der ersten Sude gewidmet. Die Brauerei im Stadtviertel hat sich rumgesprochen, das Bier ist angekommen und die Brauerei kontinuierlich gewachsen. Als Food-PR-Agentur aus München, nur zwei U-Bahn-Stationen vom Giesinger Bräu entfernt, haben wir ihm einen Besuch abgestattet und mit Steffen über seine Begeisterung für gutes Bier, seine Tiefpunkte auf dem Weg zur festen Größe in Münchens Bierlandschaft sowie über entscheidende Meilensteine in den letzten zwölf Jahren gesprochen und nebenbei erfahren, dass er sich in erster Linie der Tradition und dem Reinheitsgebot verpflichtet sieht und kein Craftbrauer ist.
Wann hattest du den ersten Gedanken an eine eigene Brauerei und warum? Gab es so einen Aha-Effekt?
Steffen Marx: Nein, eigentlich ist die Idee eher langsam gereift, so wie gutes Bier eben. Ich hatte ja viel Zeit, nachdem ich das Studium an der Bundeswehrakademie aufgegeben habe. Irgendwie fand ich, dass München ein gutes Bier nötig hat und die Münchner das verdienen.
Wenn wir ehrlich sind, hattest du zu Beginn ja gar keine Ahnung vom Bierbrauen. Wie kann man dann eine Brauerei aufmachen?
Steffen Marx: Ich wollte das schon von Grund auf lernen und habe mich daher an der renommierten Universität in Weihenstephan zum Studium angemeldet. Das Praktikum vorab hat jedoch meine Pläne ein wenig schneller vorangebracht als gedacht. Der Braumeister, den ich dort kennenlernte, hat sich mit mir für die Garagenbrauerei in Giesing entschieden. Ich habe Brauen gelernt, und wir sind ein gutes Stück des Weges zusammen gegangen. Gestemmt haben wir die viele Arbeit auch aus Kostengründen mit einer Reihe an Azubis und viel Eigenleistung. Heute bilden wir aus, weil wir wollen. Bei mir hat jeder Azubi eine Stellengarantie, aber viele wollen nach der Lehre doch raus in die Welt. Es macht mich schon stolz, wo sie jetzt teilweise sind. Mit Simon, Dipl. Ing. für Brauwesen, habe ich den perfekten Mann am richtigen Platz und neben den Gesellen und Azubis auch eine feste Konstante in der Produktion. Wir sind uns einig, wollen gute, klassische Biere brauen und zudem ein wenig innovativ sein. Tradition und Innovation eben, dafür steht Giesinger Bräu.
Wann war dein absoluter Tiefpunkt, an dem du alles hinwerfen wolltest, oder gab es den nie?
Steffen Marx: Tiefpunkt möchte ich nicht sagen. Aber ja, es gab natürlich immer wieder Momente, in denen ich gedacht habe, was kommt denn noch? Meist wurden mir durch offizielle Stellen Steine in den Weg gelegt. Auch Briefe von Marken-Rechtsanwälten machen keinen Spaß. Da braust du zum Beispiel 200 Liter Bier ein, gibst ihm einen lustigen Namen, verkaufst fast alles und sollst dann 3.000 Euro Strafe bezahlen. Und das nur, weil irgendeine Brauerei in einem anderen Land findet, dass du mit deiner Bierbezeichnung für eine enorme Verwirrung auf dem europäischen Biermarkt gesorgt hast. Mann, da musste ich mich schon manchmal fragen. Aber sicher war der entscheidendste Moment der, als ich die Unterschrift für den Bau dieser Brauerei geleistet habe. Am alten Standort waren wir mit 700 Hektolitern an unserer Machbarkeitsgrenze und gleichzeitig an einer wirtschaftlich unrentablen Größe angekommen. Daher habe ich den Sprung gewagt und gebaut. Im Nachhinein betrachtet die richtige Entscheidung. Wir sind nun, wie ich immer wieder gerne sage, Münchens zweitgrößte Privatbrauerei und mit zwölf Jahren können wir schon von einer Traditionsbrauerei sprechen, finde ich.
Wie bist du vorgegangen, um Gastronomen für euer Bier zu begeistern, in einer Stadt, in der gefühlt auf jedem Gastroobjekt eine große Brauerei die Hand drauf hat?
Steffen Marx: Wir verkaufen nicht aktiv, die Wirte kommen zu uns. Gut 90 Prozent unserer Biere gehen in den Handel, der Rest wird über unser eigenes Wirtshaus ausgeschenkt und fließt in einigen wenigen Gasthäuern in München aus dem Hahn. Es ist in München fast unmöglich, als neue Brauerei in der Gastronomie Fuß zu fassen, aber mit dem naturtrüben Pils haben wir einen Coup gelandet und kommen nach und nach in die Gaststätten rein, die ein Pils zur Vervollständigung des Angebotes haben wollen, deren Stammbrauerei dies aber nicht hat. So können wir die großen Marken, die keinen Bezug zu München haben, gegen unser Pils ersetzen, ohne dass der Wirt mit seiner Brauerei ein Problem bekommt.
Was war dein absolutes Yes-Projekt?
Steffen Marx: Die Idee mit dem Crowdfunding. Es bringt für beide Seiten nur Vorteile. Wichtig ist es, eine gute Plattform zu nutzen, sodass rechtlich alles wasserdicht ist. Das habe ich bei meiner ersten Welle leider nicht bedacht und musste nachjustieren. Bei der zweiten Welle hat dann alles gepasst. Die Verbraucher, die an uns glauben, haben verschiedene Pakete zur Auswahl gehabt, um ihr Geld bei uns in den Neubau zu investieren. Verzinst wurde das alles mit acht Prozent. Die Ausschüttung der Zinsen erfolgt in Genussgutscheinen, die sie hier bei uns im Wirtshaus einlösen können. Der größte Gewinn, neben dem Geld, ist, dass sich die Leute mit der Brauerei beschäftigen, an das Konzept glauben und draußen als Botschafter für unser Bier unterwegs sind. Du bekommst von den Leuten, die Geld investiert haben, schnelle und gute Kritik, sie geben immer hilfreiche Anregungen. Ich nehme mir immer viel Zeit, ihnen zuzuhören. Ich habe meine Marktforschung greifbar im eigenen Wirtshaus. Das ist Gold wert. Es wird nun im Sommer 2017 noch eine dritte und wirklich letzte Welle geben, mit der ich Geld für die nächsten Projekte sammle. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich Mr. Crowdfunding bin und das Ganze erfunden habe.
Das heißt, dass du aktuell er an der dritten Welle arbeitest. Wofür brauchst du das Geld?
Steffen Marx: Eine Expansion steht im Raum, wir suchen aktuell nach Platz und Fläche, da wir mit der derzeitigen Brauanlage an der Kapazitätsgrenze sind. Und irgendwie ist das Bier ständig aus. Zudem habe ich auch noch ein paar Pläne über die Region hinaus. Klar, wir sind in erster Linie daran interessiert, München und das Umland mit gutem Bier zu versorgen, und da haben wir ausreichend Potenzial mit vier Millionen Einwohnern im Speckgürtel rund um München. Aber mein persönlicher Wunsch ist es, mein Bier in den Metropolen Hamburg, Berlin, Wien und Zürich zu verkaufen. Das kann ich nur mit Handelspartnern und denen muss ich natürlich eine kontinuierliche und sichere Lieferung garantieren. Da kann ich nicht sagen: Hei, klar, brauste Bier, ist aber gerade mal wieder aus. Also, wir schauen uns um. Aber natürlich haben wir mit dem Namen auch eine Verpflichtung. Die Giesinger Brauerei muss ihre Heimat in Giesing behalten. Lasst euch überraschen.
Wer mehr über Steffen Marx und das Giesinger Bräu wissen will, kann dies in der bier.pur-Ausgabe 02/2017 vom Österreichischen Agrarverlag nachlesen.