Bäckermeister Wilhelm Balkenholl wollte den Beruf von der Pike auf lernen und ist daher nach seiner Lehre erst einmal auf Wanderschaft gegangen, um in Backstuben der Kollegen Erfahrungen zu sammeln und neue Eindrücke sowie Rezepte zu gewinnen. In diesen Wanderjahren hat es den Bäcker mit Leidenschaft aus der elterlichen Produktion in einem kleinen Dorf in der Region Hannover unter anderem auf die Ostseeinsel Fehmarn und in die Hauptstadt Berlin verschlagen. Er ist einer, der immer weiter will, der jede neue Idee begeistert durchdenkt, der gerne mit Kollegen fachsimpelt, sie unterstützt und die Backstube öffnet. Und ihm liegt viel an der öffentlichen Wahrnehmung seines Berufsstands und der Wertschätzung von Verbrauchern gegenüber einem guten Brot. Laut Medienberichten ist er auch stets mit der Verbesserung und Überarbeitung seiner Rezepturen beschäftigt und nicht nur Bäckermeister, sondern Meister des Weglassens von Zutaten, die seiner Meinung nach nicht in Backwaren eines Handwerksbäckers gehören. So war er dem aktuellen Trend der veganen Ernährung voraus, als er 2015 bei elf seiner 16 Brötchensorten alle tierischen Zutaten durch rein pflanzliche ersetzt hat, um seinen Brötchen den Stempel vegan aufdrücken zu können. Seine Begeisterung für Brot und handwerkliche Backwaren war auch die Hauptantriebsfeder, warum er sich als Inhaber einer Bäckerei in der zweiten Generation 2017 die Zeit genommen hat, um die Weiterbildung zum Brot-Sommelier zu machen. Fast zwei Jahre sind seit dem erfolgreichen Abschluss an der Akademie des deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim vergangen und wir wollten von ihm wissen, ob und wie er das neue Wissen erfolgreich einsetzt und welches Thema er im Rahmen seiner Projektarbeit in Angriff genommen hat.
Willi, war rückblickend betrachtet die Investition in die Weiterbildung zum Brot-Sommelier sinnvoll und für dich und deine Bäckerei ein nachhaltiger Erfolg? Wie setzt du das gewonnene Wissen ein?
Wilhelm Balkenholl: Es war eine intensive Zeit und sehr viel Wissen, das wir im Kurs auf den Weg mitbekommen haben. Im Verlauf der Weiterbildung ist dann die Idee zur Brotwerkstatt entstanden und gereift. Wir haben über der Bäckerei nach dem Abschluss des Brot-Sommelier-Kurses 140 Quadratmeter zur Brotwerkstatt ausgebaut und geben seit August vergangenen Jahres Kurse für brotbegeisterte Verbraucher. Gestartet sind wir mit vier Kursthemen: Verkostungen mit Brot und Bier sowie Brot und Wein und zwei Kursen, in denen wir mit den Kunden zum einen Brot backen und zum anderen gemeinsam verschiedene Aufstriche herstellen und mit unterschiedlichen Brotsorten verkosten. Zunächst haben wir die Kurse im Zwei-Wochen-Rhythmus angeboten. Schnell mussten wir aber auf ein wöchentliches Angebot umstellen, da die Nachfrage ungemein war. Ehrlich gesagt hat uns das selbst sehr überrascht. Wir haben mit so viel positiver Resonanz, und das direkt vom Start weg, nicht gerechnet. Aktuell bieten wir nun alle drei Tage einen Kurs an. Damit können wir pro Woche über 30 Verbraucher bei uns in der Bäckerei begrüßen. Alle bekommen im Rahmen des Kurses natürlich auch eine Führung durch die Backstube, wo sie sehen, dass wir sehr handwerklich arbeiten. Mein Ziel mit den Kursen ist es, die Teilnehmer für gutes Brot zu begeistern, unsere Bäckerei als handwerklichen Betrieb zu stärken und damit am Ende auch die Branche insgesamt in ein positives Licht zu rücken. Und das gelingt uns jeden Tag ein kleines Stück mehr. Damit ist die Frage nach der Investition in die Weiterbildung zum Brot-Sommelier bestens beantwortet. Ich bin sehr froh, den Schritt gemacht zu haben, und kann mein Wissen und die Fähigkeiten, die ich an der Bäckerakademie erlernt habe, bestens in der Praxis anwenden.
Wie haben eigentlich die Kunden auf den neuen Titel reagiert?
Wilhelm Balkenholl: Mit Neugier und viel Interesse. Da ich nun jede Woche viele Brot- und Backbegeisterte in den unterschiedlichen Kursen im Haus habe, kann ich die Fragen persönlich klären. Es hat mich wirklich enorm erstaunt, wie viele Leute Bock auf gutes Brot haben und auch tatsächlich zu Hause selbst backen. Nicht immer, aber hin und wieder und genau diese Genussmenschen, die sich für gute und handwerklich hergestellte Lebensmittel interessieren, kaufen auch beim Bäcker ein. Ja klar, backen sie mal zu Hause, aber nicht immer und ausschließlich. Das ist eher ein Gemeinschaftserlebnis mit der Familie, in denen sie mal ein, zwei Tage den Backofen anwerfen, um Brot, Pizza und Kuchen zusammen zu backen. Dadurch wissen sie die Arbeit und den Aufwand zu schätzen, der notwendig ist, um ein genussvolles Qualitätsbrot herzustellen. In der Zeit dazwischen kaufen sie nach wie vor beim Bäcker ein.
Du hast in deiner Projektarbeit über Gerste zu Beginn die Sorge geäußert, dass die Verbraucher in Deutschland, der weltweit größten Brotnation, das Interesse am Brot verloren haben. Warum ist das deiner Meinung nach der Fall und wie steuert die backende Branche allgemein und du dagegen an?
Wilhelm Balkenholl: Eine sehr komplexe und schwierige Frage. Es war ein langer Prozess aus sicherlich einem Überangebot an Broten und Backwaren in vielen Verkaufsstellen wie beispielsweise im Supermarkt am SB-Regal, Backstationen im Handel, Tankstellen und so weiter. Auch die Welt des immer größer werdenden Snackangebotes ist sicher ein weiterer Faktor. Wer einen Wrap oder einen Müsliriegel isst, der braucht erst mal keine belegte Schnitte mehr. Kombiniert mit dem Fakt, dass Brot immer billiger geworden ist. Die verschiedenen Anbieter haben sich gegenseitig mit Dumpingpreisen unterboten. Der Effekt: Brot ist in den Augen der Verbraucher nichts mehr wert. Ich versuche nun kontinuierlich Aufklärungsarbeit zu leisten. Mit einem kleinen Promostand stelle ich mich regelmäßig in die Filialen, schneide unsere Brote auf, lasse verkosten, erkläre, welche Arbeit hinter der Herstellung des Brotes steckt, welche Zutaten wir verwenden und gebe den Kunden eine Scheibe mit, damit sie die Vielfalt erleben. Unser Verband unterstützt uns natürlich auch durch eine nationale Kommunikationskampagne.
Die Kernfrage deiner Projektarbeit lautete, warum in Deutschland nicht mit Gerste gebacken wird und es als Brotgetreide von der Bäckeragenda verschwunden ist? Ein historisch verankerter Grund ist sicherlich der Erlass des Reinheitsgebotes, in dem die Gerste als minderwertiges Getreide den Brauern zum Bierbrauen zugeschlagen wurde, damit die Bäcker mit Weizen die Bevölkerung ernähren können. Was ist das Resultat deiner Arbeit? Hast du es geschafft, die Gerste als ungeliebtes Stiefkind der deutschen Brotkultur aus ihrer Ecke zu holen, und selber Gerstenbrote im Sortiment?
Wilhelm Balkenholl: Ich habe in meiner Projektarbeit ein Gersten-Dinkel-Vollkornbrot kreiert, das ich mit Beta-Glucan-Gerste von Gerstoni backe. Ich habe im Projektverlauf sehr viel Unterstützung von der Inhaberin Frau Dieckmann bekommen, um das optimale Rezept zu entwickeln. Es ist eine spezielle Gerste, die mit einem Health Claim ausgelobt werden darf, da sie nachweislich zur Senkung des Cholesterinspiegels beiträgt und die Darmgesundheit fördert. Frau Dieckmann ist Ernährungswissenschaftlerin und brennt für ihre Gerste. Das Rezept ist nun bestens ausgereift und unter dem Namen Sommelier Kruste Teil des Produktangebotes bei uns in der Bäckerei geworden.
Was muss man als Bäcker berücksichtigen, wenn man mit Gerste backen will?
Wilhelm Balkenholl: Wie immer bei neuen Zutaten muss man sich auf deren Eigenschaften einlassen und ein wenig testen. Teige aus Gerstenmehl verhalten sich völlig anders, als wir Bäcker das von Weizen und Roggen gewöhnt sind. Wenn man dann aber sein festes Rezept erarbeitet hat, kann man mit diesem in der Tagesproduktion sehr gut arbeiten.
Braucht die Welt Brot-Sommeliers und wenn ja, warum?
Wilhelm Balkenholl: Natürlich brauchen wir Brot-Sommeliers. Wir Bäcker müssen wieder mehr Werbung für unser Handwerk machen, darüber sprechen, welche Kompetenzen wir haben. Ich bin auch der Meinung, dass wir nie genug Brot-Sommeliers haben können. Je mehr Kollegen als Botschafter für handwerklich gutes Brot fungieren und Verbraucher aufklären, desto besser. Brot muss sprichwörtlich wieder in aller Munde sein.
Was sind deine nächsten Projekte als Brot-Sommelier?
Wilhelm Balkenholl: Natürlich das Kursangebot in unserer Brotwerkstatt ausbauen und noch attraktiver machen und uns als Bäckerei dabei (wieder) als Handwerker mit hohem Qualitätsanspruch etablieren. Kein Stillstand bei der Brotentwicklung. Ich will unser Sortiment kontinuierlich verändern und Kunden mit neuen Brotsorten Impulse geben. Es sollen Brote sein, die kein anderer hat, die es nur bei uns zu kaufen gibt. Dabei geht es mir nicht um die Namensgebung, sondern darum, Brote und Backwaren zu backen, die mit neuen, unerwarteten Zutaten gebacken werden wie ein Dinkel-Ingwer-Brötchen oder ein Dinkel-Ruchmehl-Brot.
Vor welchen Herausforderungen steht die backende Branche deiner Meinung nach in den kommenden Jahren?
Wilhelm Balkenholl: Den Weg raus aus der Backstube, hin zum Verbraucher gehen. Wir müssen mit den Verbrauchern sprechen, ihnen viel mehr über das Brotbacken, den Geschmack eines handwerklichen Brotes erzählen. Ich hatte ein einschneidendes Erlebnis in einem Supermarkt, in dem wir eine Verkaufsstelle in der Vorkassenzone betreiben. Bei einem meiner Stopps dort habe ich einen Kunden beobachtet, der gutes Geld für dry aged Fleisch ausgegeben hat, also von meiner Seite als Genussmensch eingeschätzt wurde, der bereit ist für gute Lebensmittel von hoher Qualität auch Geld auf die Theke zu legen. Dann schnappte er sich auf dem Weg zur Kasse drei Baguettes aus dem SB-Brotregal für unter einem Euro das Stück. Auf meine Frage, wie das sein kann, war er völlig verwirrt. Seine Wahrnehmung war die, dass es das gleiche Brot ist, das es auch vor der Kasse bei uns, also dem Handwerksbäcker, gibt. Der Unterschied für ihn war eben nur, dass man es sich im Supermarkt selbst aus dem Regal nimmt und bei uns an der Thema bedient und beraten wird. Und genau daran müssen wir arbeiten und Aufklärungsarbeit leisten.
Und nun natürlich die Frage aller Fragen, die man dir sicher einmal am Tag stellt: Was ist dein persönliches Lieblingsbrot?
Wilhelm Balkenholl: Was für eine Frage, natürlich die Sommelier Kruste. Das Produktergebnis meiner Projektarbeit, ein Gersten-Dinkel-Vollkornbrot mit gerösteten Kürbis- und Sonnenblumenkernen, ist ein kerniger Genuss mit einem dezenten Röstaroma, den nicht nur ich, sondern auch meine Kunden so sehr schätzen, dass es nun im Stammsortiment seinen festen Platz gefunden hat.
Wer sich mehr über Brot-Sommeliers und wie es um die deutsche Brotkultur steht, informieren möchte, sollte sich durch das Interview mit dem Wildbaker Joerg Schmid oder von den Gedanken des Brotquerdenkers aus Südtirol inspirieren lassen.