Trendforscherin Hanni Rützler macht im Foodreport 2021, der ein Foodreport im Zeichen der Krise ist, deutlich, dass die als systemrelevant eingestufte Food-Branche „(…) einer der am heftigsten betroffenen Märkte in der Corona-Krise“ ist, im positiven wie auch negativen Sinn. So haben Felder wie beispielsweise Delivery mit Online-Bestellung und -Bezahlung einen fast kometenartigen Aufstieg hingelegt. Waren wir Deutschen noch zu Jahresbeginn eher verhaltene Food-Online-Shopper im Vergleich zu anderen Ländern, so hat die aktuelle Situation zu einer Beschleunigung dieser Entwicklung geführt. Wohingegen der im letzten Jahr schon voll im Gange befindliche Wandel unseres Essverhaltens in Richtung Snackification eingebremst wurde. Während die Gastronomie, und hier besonders die Bar- und Clubszene, monatelang mit teilweise kreativen Überbrückungskonzepten ums Überleben kämpfte und manche Barbetreiber noch kein Ende erkennen können, verzeichnen der Lebensmitteleinzelhandel sowie die Lebensmittelindustrie stabile Gewinne. Hanni Rützler nimmt uns im Foodreport 2021 in ihre Gedankenwelt mit und lässt uns „(…) darüber nachdenken, was wir ändern wollen, um unser Ernährungssystem resilienter und unsere Esskultur nachhaltiger und genussvoller zu gestalten“.
Food neu denken
Der wochenlange Shutdown hat die bestehenden Ernährungsgewohnheiten der Welt unterbrochen, hat verändert, was, wo, wie und mit wem wir essen. Alle waren von heute auf morgen gezwungen, sich mit dem Zubereiten von Mahlzeiten im eigenen Heim zu beschäftigen. Die Fragen, was koche ich mit welchen Zutaten und woher beziehe ich diese, standen auf der täglichen Agenda. Kurzfristige Mahlzeiten-Planung, das schnelle Sattwerden nach der Arbeit auf dem Weg zum Abendtermin, Spontaneinkäufe weniger Lebensmittel sind Essensplänen für eine ganze Woche und gezielten Großeinkäufen mit umfangreichen Einkaufslisten gewichen. Lieferservices von Supermärkten, Lebensmittelkisten vom Bio-Bauern aus der Region und Lebensmittelpakete zum Kochen der mitgelieferten Rezepte boomten genauso wie Bio-Lebensmittel im Allgemeinen. In der ersten Phase ging es darum, die Grundversorgung zu sichern; entspannte Restaurantbesuche, das gemeinsame Bier nach Feierabend, ein erlebnisorientierter Supermarkteinkauf mit Verkostungsproben waren nicht mehr möglich. Wir sind vom Konsumenten zum Beschaffer und Zubereiter geworden. Wir haben erkannt, welche tragende Rolle die Landwirtschaft und die Hersteller von Lebensmitteln und Getränken haben, wie systemrelevant sie sind. Die bisherige Routine wurde gestört, neue Verhaltensweisen sind entwickelt worden, die noch lange nachwirken werden: „(…) Alle Ernährungsbranchen haben eines gemeinsam: Sie müssen sich auf ein neues Spiel einstellen. Wir werden Food neu denken.“
Wird die Krise unser Leben und unsere Esskultur langfristig verändern und wenn ja, wie? Diese zentrale Frage stellt Hanni Rützler beim Durchleuchten aller aktuellen Foodtrends, von denen wir drei genauer angeschaut haben.
Megatrend Gesundheit
Für die Trendforscherin handelt es sich dabei um den weltweit wirksamsten und in der Krise sehr robusten Megatrend. Dahinter steckt der Wunsch nach einem langen, gesunden und beschwerdefreien Leben. Und genau diese Sehnsucht wächst in krisengeprägten Zeiten wie diesen. Vier Foodtrends spielen eine große Rolle und sind mit dem Megatrend Gesundheit direkt verlinkt. „Forced Health“, sprich gesundheitsfördernde Ernährung, bei der auch Nahrungsergänzungsmittel aus der Apotheke oder dem Lebensmittelhandel relevant sind, gewinnt in der Krise weiter an Bedeutung. Auch die Strömung „Soft Health“ spielt eine immer größere Rolle. Dabei unterliegt das Handeln einem ganzheitlichen Verständnis von gesunder Ernährung, nicht dem Rauspicken einzelner Lebensmittel, die als ungesund abgestempelt werden. Es ist deutlich zu beobachten, dass Verbrauchern eine ausgewogene, vielfältige Ernährung immer wichtiger wird, basierend auf Gemüse, Hülsenfrüchten, Getreideprodukten und Saaten. Dieses Beschäftigen mit einer gesunden Ernährung schwappt direkt zum nächsten Trend, der, laut Rützlers Prognose, durch den Einschnitt der Krise weiterwachsen wird: „Plant Based Food“. Gepushed vor allem durch die jüngeren Generationen Y und Z, unter denen der Anteil von Flexitariern, Vegetariern und Veganern besonders deutlich ist, verzichten immer mehr Menschen auf Fleisch aus der industriellen Fleischproduktion und wenden sich Gerichten zu, die aus pflanzlichen Lebensmitteln zubereitet werden. Und zu guter Letzt wird uns der Trend „Clean Food“ weiter begleiten. Die Suche nach möglichst unbehandelten Lebensmitteln, nach allergenfreier Ernährung bleibt gerade in Krisenzeiten sehr stabil bestehen, „(…) weil sie mit einer gewissen Reinheit und Hygiene assortiert wird, die Menschen heute mehr denn je erstreben“.
Megatrend Genuss
Im März wurde Deutschland – staatlich angeordnet – entschleunigt. Keine Termine mehr, Arbeiten von zu Hause aus und Kontaktbeschränkungen führten dazu, dass „(…) unsere Aufmerksamkeit auf Analoges und Sinnliches fokussiert wurde, ermöglicht neue Erfahrung und lässt uns Dinge tun, für die wir uns zuvor oft keine Zeit genommen haben“. DIY Food & Gourmet Gardening waren sicher bereits im letzten Jahr ein Thema, haben aber durch die Krise nun einen zusätzlichen Schub bekommen. Wir haben begonnen, das Einmachen, Kochen und Backen als Lifestyle-Hobby zu betrachten. Wo früher in den sozialen Medien Gerichte die Runde gemacht haben, die man im Restaurant zu sich genommen und vorher noch schnell fotografiert hat, kursierten in der Krise nun Bilder von selbst zubereitetem Essen, von Brot und Backwaren aus dem eigenen Ofen und Gläser mit Marmelade, die aus der eigenen Küche stammt. „Sensual Food, New Flavoring & Food Pairing“ als Gegenreaktion auf die zunehmende geschmackliche Standardisierung industriell gefertigter Lebensmittel, getrieben durch Köche, Sommeliers, Barkeeper und Lebensmittelproduzenten, hat in den letzten Jahren medialen Aufwind bekommen. Nach anfänglichem Stocken im Shutdown ist eine wahre Flut an Online-Verkostungen aufgekommen, bei denen die Suche nach Aromen, Genusserlebnissen und der perfekten Kombination verschiedener Lebensmittel und Getränke thematisiert wurde.
Megatrend Alltag
Wie das Arbeiten der Zukunft aussehen wird, wird auch maßgeblich unsere Esskultur beeinflussen. „New Breakfast“, das neue Frühstück, das anders ausschaut als noch in vorhergehenden Generationen, ist ein Trend, der in der aktuellen Situation unter die Räder gekommen ist. Es wurde Wert gelegt auf brunch-ähnliche Komponenten und fußte zentral auf sozialen Erlebnissen. Die Verbindung von Genuss und Kombination wurde durch die Krise jäh unterbrochen und wir wurden zurück an den häuslichen Frühstückstisch gezwungen. Nachdem der Ruf nach mehr Homeoffice immer lauter hallt, wird sich dieser Trend erst einmal nicht weiterentwickeln. Genauso wie „Snackification“, also der Wandel der traditionellen Esskultur mit festen Mahlzeiten, die den Alltag strukturiert haben, hin zu einer situativen Ernährung, wurde abrupt gebremst.
Hanni Rützlers Intro des Foodreports 2021 endet mit einem hoffnungsvollen Appell an uns alle: „Corona hat die Welt verändert. Nun gilt es, diese veränderte Welt aktiv zu gestalten – nach unseren Wünschen. Sprich: Gastronomen, Händler, Lebensmittelhersteller, Erzeuger, Köche und Landwirte müssen das leben, was sie sich von der Zukunft erwarten – und können diese damit aktiv mitgestalten.“ Und es liegt natürlich zu einem großen Teil auch an uns Verbrauchern, die Weichen neu zu stellen.
Nicht nur in der Gastronomie wird es laut dem Foodreport 2021 durch die Corona-Krise tief greifende Veränderungen geben, auch der Getränkebereich schlägt durch schneller zum Tragen kommende Megatrends neue Wege ein. Welche das sind, haben wir auf unserem Blogbeitrag über die Liquid Evolution zusammengetragen.