Für uns als Food-PR-Agentur war der Begriff “Ghost Kitchen”, dem Trendforscherin Hanni Rützler im Foodreport 2021 ein ganzes Kapitel widmet, kein neues Phänomen; haben wir doch bereits darüber berichtet. Welchen Einfluss hat die Corona-Krise jedoch auf die sogenannten Geisterküchen? Wie wird sich deren Zukunft gestalten und was bedeutet dies für die Gastronomie im Allgemeinen und im Speziellen für unsere Esskultur? Wir haben uns das Kapitel näher angeschaut.
Die bis Jahresbeginn nur in Fachmedien und von Branchen-Insidern diskutierte Nischenentwicklung hat über Nacht Fahrt aufgenommen: die Ghost Kitchens. Geisterküchen sind Restaurants, in den lediglich Speisen zubereitet, jedoch keine Gäste bedient werden. Mit dem Shutdown wurde die Gastronomie deutschlandweit, je nach Bestimmungen in den einzelnen Bundesländern, unfreiwillig von einem Tag auf den anderen zu einem Heer an Geisterküchen umfunktioniert. Gastronomen versuchten mit kreativen und alternativen Konzepten, zum einen die Versorgung der Menschen mit Speisen zu sichern, und zum anderen sich finanziell einigermaßen über Wasser zu halten. Prominente Köche machten Schlagzeilen, indem sie sich zusammenschlossen und eine Art Lieferservice für systemrelevante Berufsgruppen in Altenheimen und Krankenhäusern aufbauten. Damit wollten sie einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohl leisten und zugleich die Rohstoffe und Waren, die in ihren Kühlhäusern lagerten, aber nicht verarbeitet werden konnten, weil die Gäste wegblieben, sinnvoll verwerten.
Netflix der Gastro-Branche: Food-Delivery-Plattformen
Zwei Trends, die sich bedingen und durch die Corona-Krise in Windeseile einen tief greifenden Veränderungsprozess durchlaufen haben: Ghost Kitchens und die Disruption des Fast-Casual-Markts. Ihre Beobachtungen fasst Hanni Rützler wie folgt zusammen: „Die Lieferservice-Unternehmen entwickeln sich zu Food-Plattformen, die völlig neue Gastronomiekonzepte hervorbringen.“ Drive-out statt Drive-in, also das Beliefern der Gäste durch Restaurants zu Hause, statt die Bewirtung der Gäste im Restaurant, ist in anderen Ländern bereits seit einiger Zeit gang und gäbe. In den USA haben auch schon vor der Krise mehr Menschen Essenseinkäufe bei Gastronomien via Lieferservice getätigt, als Speisen vor Ort zu bestellen und zu konsumieren. Wir Deutschen waren da sehr viel zurückhaltender. Das hat sich geändert. Hanni Rützler geht davon aus, dass sich dies zu einer neuen Gastro-Normalität manifestieren könnte. Sie appeliert an Gastronomen, nicht zu sehr auf die Wiederkehr der Vor-Krisen-Normalität zu hoffen, sondern sich mit der neuen Realität auseinanderzusetzen.
Wer bestellt Essen online?
Eine spannende Frage, die zusammen mit den Erkenntnissen aus der Krisenzeit eine substanzielle Grundlage für die Entwicklung neuer Gastronomie-Konzepte darstellt. Ein Blick auf die D-A-CH-Region Ende Oktober 2019: Online-Good-Delivery-Dienste rangierten vor allem hoch in der Gunst der jüngeren Menschen, meist auch mit niedrigerem Einkommen. Und wurde 2018 in Deutschland zu einem überwiegenden Teil Essen noch per Telefon (57 Prozent) bestellt, so hatte sich das Bild bereits 2019 gewandelt. Der Anteil an Bestellungen, die über Apps abgewickelt wurden, ist im Jahresvergleich um 25 Prozent gestiegen. Die Corona-Krise hat die Akzeptanz von Lieferservice-Apps sowie Online-Bestellmöglichkeiten deutlich gesteigert.
Front Cooking im Widerspruch zur aktuellen Lage
Ein Trend, der sich vor der Krise als Heilsbringer darstellte und der Gastronomie zu einem wahrlichen Schub verholfen hatte, war die transparente Darstellung der Speisenzubereitung vor den Augen der Gäste. Man wollte wissen und erleben, wer mit welchen Zutaten wie sein Essen zubereitet, das man entweder selbst an der Theke in Empfang nehmen konnte oder einem dann doch noch am Tisch serviert wurde. Das Ziel war es, dass die Gäste Vertrauen in die Kompetenz und den Qualitätsanspruch des jeweiligen Restaurants bekommen. Ein Konzept, das natürlich im absoluten Widerspruch zu den neuen Herausforderungen steht: Speisenzubereitung für die Lieferung nach Hause oder ins Büro.
In die Glaskugel geschaut
Hanni Rützler sieht nach der Krise zwei Wege, zwei Richtungen an Bedürfnisen der Verbraucher, die es zu bedienen gilt. Natürlich, und das beobachten wir ja bereits jetzt nach den ersten Lockerungen, werden es Verbraucher wieder genießen, sich mit Freunden in Restaurants zu treffen und dort ein serviertes Gericht zu verspeisen. Aber es wird auch einen Großteil geben, der die Bequemlichkeit und Unkompliziertheit eines bestellten und gelieferten Menüs auch weiterhin zu schätzen weiß; vielleicht nicht immer, aber dennoch öfters als früher.
Die Trendforscherin identifiziert sechs unterschiedliche Ghost-Kitchen-Konzepte und prognostiziert eine Gastronomie-Landschaft, die sich weiter ausdifferenzieren wird:
- Restaurants, die Gäste bewirten und durch einen Lieferservice Speisen zustellen lassen.
- Restaurants, die Gäste bewirten und für Essenszustellungen eine separate Ghost Kitchen betreiben, um die Restaurantküche zu entlasten.
- Restaurants, die nur mehr für Essenslieferungen kochen.
- Ghost Kitchens, die von Lieferservice-Unternehmen betrieben werden, in denen Gerichte nach Rezepturen real existierender Restaurants zubereitet werden.
- Ghost Kitchens, die von Lieferservice-Unternehmen an Gastronomen vermietet werden, in denen Gerichte für Essenslieferungen zubereitet werden.
- Ghost Kitchens, die von Lieferservice-Unternehmen betrieben werden, in denen Gerichte unter virtuellen Restaurant-Marken zubereitet werden.
Quo vadis Gastronomie?
Nach Ansicht von Hanni Rützler ist eine Ausdifferenzierung der Gastronomielandschaft die Wahrscheinlichkeit: Restaurants werden auch nach der Krise geschätzt, weil sie Orte sind, an denen man sich mit Menschen treffen kann, an denen die Aufenthaltsqualität, unter den jeweils gegebenen Bedingungen, geschätzt wird. Aber der Siegeszug von Delivery Food ist nicht mehr aufzuhalten. Es ist unkompliziert und bequem, Essen zu bestellen, dessen Qualität locker mit einem Restaurantstandard jenseits der Spitzengastronomie mithalten kann. Die neue Technologie erleichtert die Bequemlichkeit und daher wird die Akzeptanz weiter steigen. „Die Corona-Krise ist der entscheidende Treiber und zugleich der Stresstest für alternative Gastronomie-Konzepte.“ Wir sind gespannt, wie sich die Konzepte in der Mitte der Gesellschaft etablieren und vielleicht in Zukunft zu einem maßgeblichen Teil der alltäglichen Esskultur werden.
Die zu erwartenden Veränderungen in der Gastronomie gehen Hand in Hand mit den Umwälzungen auf dem Getränkesektor. Wer wissen möchte, was hinter der im Foodreport 2021 angesprochenen Liquid Evolution steckt, kann dies in unserem Blogbeitrag nachlesen.