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Brancheninsights: Wie innovativ ist die deutsche Getränkebranche im internationalen Vergleich?

Beim Gang über das Craftbier-Festival in den Londoner Docks im August war mir nach kurzer Zeit klar, dass jeder, der trendig sein möchte (oder ist?), in Mango oder Blaubeeren macht. Auch bei anderen Food- und Beverage-Events dauert es meist nicht lange, bis man eine gemeinsame Klammer bei den Neuprodukten und angepriesenen Innovationen erkennt. Auf der BioFach, der Leitmesse der Biobranche, im Frühjahr in Nürnberg ging eindeutig Kurkuma und damit die Farbe Gelb als Innovationssieger hervor.

Getrieben durch die sozialen, weltumspannenden Netzwerke werden Trends immer schnelllebiger, Influencer sind stets auf dem Sprung, um eine neue Strömung mitzubekommen oder einen Trend voranzubringen. Jeder möchte der erste sein, der auf seinem Kanal davon berichtet. Hat es noch vor einigen Jahren eine nachvollziehbare Reise beziehungsweise Lebenszyklus eines Trends von der Entstehung über die Entdeckung durch Influencer bis hin zum Weiterschwappen von Land zu Land gegeben, so sind die Gesetzmäßigkeiten durch die sozialen Medien, so meint man, nun außer Kraft gesetzt. Ein Getränk, das in den USA absolut angesagt ist, kann bereits morgen in den Szenebars in Berlin auf die Karte gesetzt werden.

Wie aber spürt man solche Trends auf? Wer entscheidet, was ein Trend wird, welche hippen Getränkekreationen den Spring in den Mainstream schaffen? Wie kommt es dazu, dass zu einer bestimmten Zeit alle Hersteller mit den gleichen Geschmacksrichtungen und Produkten aufwarten? Woher stammen die Impulse hierzu? Wie gehen Unternehmen, Konzerne wie auch Mittelständler, im Getränkebereich vor, um die aktuellsten Trends aufzuspüren und diese dann in den Innovationsprozess im Unternehmen einzubinden? Wie innovativ ist Deutschland im Getränkesegment? Und welche Rolle spielen dabei eben die sozialen Netzwerke? Sind diese eine gute Inspirationsquelle oder bilden sie eher ein unrealistisches Bild ab? Als Food-PR-Agentur wollten wir es genau wissen, haben uns in der Getränkebranche umgehört und mit Insidern gesprochen, um unsere Fragen beantworten zu können.

Konzerne als Trendtreiber

Um innovativ zu sein und die Entwicklung neuer Getränken überhaupt zu ermöglichen, muss natürlich zuerst ein strategisches Bekenntnis des Unternehmens vorhanden sein, durch Innovationen unter Einsatz der dazugehörigen Ressourcen in Forschung und Entwicklung erfolgreich am Markt bestehen zu wollen und vielleicht sogar eine Vorreiterrolle einzunehmen. Dies muss von der Unternehmensspitze klar formuliert und entsprechende Investitionen müssen bereitgestellt und getätigt werden. Konzerne haben meistens gut ausgestattete Forschungslabors und genug Ressourcen für intensive Marktforschung. Dementsprechend schotten sich diese Firmen eher ab und versuchen, durch den gewonnenen Wissensvorsprung Trends und Bedürfnisse der Konsumenten früher zu erkennen.

Nach Ansicht von Brancheninsidern sollten kleine und mittelständische Unternehmen, außer den eigenen Anstrengungen, auch die Möglichkeiten von Kooperationen mit Zulieferern, in Netzwerken und der organisierten Gemeinschaftsforschung nutzen. Soziale Netzwerke haben unser aller Leben grundlegend verändert. Es stellt sich also nicht die Frage, ob sie eine Rolle spielen, sondern wie man mit ihrem Einfluss professionell umgeht und die Chancen nutzt, näher am Kunden zu sein, machen Kenner der Getränkebranche deutlich. Natürlich muss jedes Unternehmen auch auf die Gefahren, die sich vor allem aus dem immer lockereren Umgang mit dem Wahrheitsgehalt von Wort und Bild einflussreicher Personen, aber auch ganzer Regierungen sowie dem Datenmonopol einiger weniger Konzerne ergeben, eine eigene Antwort suchen, die zum Markenkern und der Positionierung des eigenen Unternehmens passt. Nur aus Trendgründen auf den Neuprodukt-Zug aufzuspringen und damit die eigene Positionierung, die eigene Produktrange zu verwässern, ist nicht zielführend, sondern kann sogar zur Irritation markentreuer Verbraucher führen.

Positive Rahmenbedingungen für Innovationen in Deutschland

Wir wollen dann doch ganz genau wissen, woher nach der Erfahrung der Brancheninsider die Trends im Getränkebereich wirklich stammen? Entstehen sie eher in anderen Ländern und schwappen dann zu uns nach Deutschland oder ist Deutschland im Getränkebereich durchaus auch Innovationsführer? Wenn ja, welche Produkte würden hierunter fallen?
Die Rahmenbedingungen für Innovationen sind in Deutschland durchaus gegeben. Wir sind nach wie vor Weltmarktführer im Brauereimaschinenbau, in der Abfülltechnik, der akademischen Ausbildung von Nachwuchskräften und haben eine gut organisierte und schlagkräftige Gemeinschaftsforschung.

Für viele Experten gelten alkoholfreie Biere, aber auch Biermischgetränke mit allen Facetten, als weitgehend deutsche Erfindung. Ein wenig auseinander geht im Biersegment die Meinung, ob und inwiefern das Reinheitsgebot als Innovationshemmnis betrachtet werden muss. Bauingenieure, die in ihrer Karriere bei unterschiedlichen Arbeitgebern die Chance hatten, sowohl nach dem Reinheitsgebot zu brauen, als auch internationale Erfahrung mit weiteren Zutaten sammeln zu können, halten das älteste Lebensmittelgesetz nicht für ein Innovationshemmnis. Hört man sich jedoch unter den jungen Wilden der Bierbranche, den Craftbrauern um, dann sieht die Sachlage schon ein wenig anders aus. Sie wünschen sich eine deutlichere Offenheit und die Möglichkeit, in allen Teilen Deutschlands kreativ und experimentierfreudiger hinsichtlich der Zutaten brauen zu können.

Es ist aber auch kein Geheimnis, dass sich unter den TOP 10 Brauerei-Konzernen der Welt kein deutscher Konzern befindet und sich damit die signifikanten Ressourcen nicht in Deutschland bündeln. Dennoch wird in der Branche diskutiert, dass in klassischen nationalen Grenzen zu denken, für die Zukunft (hoffentlich) eine untergeordnete Rolle spielen wird.

Zulieferindustrie bietet fast endlose (Geschmacks-)Kombinationsmöglichkeiten

Die eine Seite der Medaille sind die Unternehmen und ihre Innovationsfreudigkeit, die Bereitschaft immer neue Produkte zu entwickeln, aber wir haben auch die andere Seite betrachtet und wollten wissen, welche Rolle die Zulieferindustrie (Aromen und Enzyme) bei der Entstehung von Trends spielt? Die Recherche zeigt, dass die Zulieferindustrie ihre Fähigkeiten enorm ausgebaut hat. Aromen und Enzyme können heute in jeder Qualität geliefert werden und bieten fast endlose Kombinationsmöglichkeiten. Wobei das Erfolgspotenzial von Bio-Rhabarber oder Halal-Gurkenaroma zumindest in Kombination mit Bier auch kritisch gesehen werden kann und manchmal die Geschmacksknospen deutscher Verbraucher überfordert.

Andere Branchenexperten machen deutlich, dass trotz bestem Innovationswillen am Ende immer noch die Kasse, also der tatsächliche Umsatz, entscheidend ist. Der Verbraucher will ständig Neues probieren und freut sich natürlich über Innovationen im Supermarktregal. Der Griff zum Neuen wird bei aufgeschlossenen Verbrauchern gerne mal getätigt, aber ein Zweitkauf sehr exotischer Produktkreationen lässt dann meist auf sich warten. Natürlich kann die Markteinführung eines spannenden Neuprodukts auch aus strategischen Marketingüberlegungen getätigt werden, um zum einen eine deutlichere Aufmerksamkeit der Marke am Point of Sale zu erreichen (mehr Regalplatz belegen) oder durch entsprechende Berichterstattung die Innovationskraft des Unternehmens medial zu belegen. Aber am Ende muss die Kasse stimmen, beim Konzern genauso wie beim kleinen regionalen Brauer oder Mineralbrunnen.

Das Ende der Extreme

Wir wollten aber dann von unseren Branchenquellen natürlich doch noch wissen, welche neuen Getränke diese in der nächsten Zeit kommen sehen? Auf Grund der politischen Entwicklungen und des Drucks von großen Konzernen scheint im Bereich der alkoholfreien Biere und der alkoholfreien Mischgetränke die Entwicklung noch lange nicht am Ende zu sein. Wenn man die Patentanmeldungen beziehungsweise die Investitionen größerer Konzerne der letzten Monate analysiert, ist das Hanf-Bier in der Variante mit THC zumindest in den Ländern, in denen ein solches Getränk legal ist, stark im Kommen.

Ansonsten ist auch in der kreativen Craftbierszene zu beobachten, dass nach einer Zeit der extremen Geschmacksvariationen mit viel Alkohol die moderaten Klassiker zumindest im Hochqualitätsbereich ein Comeback haben und auch noch in naher Zukunft haben werden. Ein Tonka-Schokoladen-Imperial-Stout, über Monate im ehemaligen Rum-Holzfass gelagert, ist ein wunderbares Geschmackserlebnis, aber sicher kein Getränk für einen unkomplizierten Feierabend. Und ein gutes Helles, ein moderates Altbier oder ein elegant-herbes Pils herzustellen, ist große Braukunst. Zudem kann man den täglichen Durst auch nicht kontinuierlich mit einem Blaubeer-Bananen-Matcha-Mango-Smoothie stillen. Wir sind gespannt, was auf uns zukommt.

Neugierig geworden, was es mit dem Kurkumatrend in der Biobranche auf sich hat? Mit einem Klick geht es zu unserem Nachbericht zur BioFach 2019, der Leitmesse der Biobranche.

 


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