Beim ersten V-Edge-Kongress in MĂŒnchen stand alles im Zeichen der pflanzenbetonten ErnĂ€hrung. Damit lag die Veranstaltung voll im von Hanni RĂŒtzler vorhergesagten Trend. In ihrem jĂ€hrlich erscheinenden Foodreport beschreibt sie âplant basedâ als eine der groĂen Bewegungen im Jahr 2019.
Etwa 150 Teilnehmer fanden den Weg in die Hochschule fĂŒr Musik und Theater in MĂŒnchen, um VortrĂ€gen und Diskussionen von Wissenschaftlern und Forschern, Start-up-GrĂŒndern, Aktivisten, NGO-Vertretern und Veganern mit verschiedenstem Background zu lauschen.
Schon bei der Eröffnung der Veranstaltung durch Robert Smetana vom V-Edge-Team wurde deutlich, aus welcher Motivation heraus die meisten erschienen sind: Bei der Frage nach anwesenden Mischköstlern und Vegetariern hoben sich vereinzelt und etwas zögerlich ein paar HĂ€nde. Man mĂŒsse sich keine Sorgen machen, die Veganer wĂŒrden einen schon nicht aufessen, scherzte daraufhin Smetana. Bei der Gegenfrage, wer sich denn vegan ernĂ€hre, meldeten sich tatsĂ€chlich fast alle.
Echtes Fleisch, ohne dass ein einziges Tier sterben muss â ja, das geht!
Ein kurzer Abriss von Robert Smetana ĂŒber die Vorteile einer pflanzenbetonten ErnĂ€hrungsweise hinsichtlich Nachhaltigkeit, Gesundheit und Tierwohl leitete die Veranstaltung ein. Dennoch wurde am Vormittag erst einmal fast ausschlieĂlich ĂŒber Fleisch gesprochen. Allerdings ĂŒber Fleisch, fĂŒr das keine Tiere sterben mussten. Clean Meat, Laborfleisch, Cellular Agriculture, in-vitro-Fleisch, cultured meat … es gibt viele Namen fĂŒr die Methode, Fleisch rein durch die Vermehrung von Zellen herzustellen. Schon lange wird daran geforscht, seit einiger Zeit erfĂ€hrt das Thema wieder vermehrt Aufmerksamkeit. GroĂe Unternehmen â auch aus der Fleischindustrie â investieren, vielversprechende Start-ups entstehen. Eines dieser Start-ups ist das niederlĂ€ndische Unternehmen Meatable. MitbegrĂŒnder und CTO Daan Luining war der erste Redner beim V-Edge-Kongress und begann seinen Vortrag mit dem Firmen-Slogan: âOne cell can change everythingâ. Mit viel Begeisterung und Ăberzeugungskraft erlĂ€uterte Luining die Vorteile von cultured meat. Man brauche nur ein einziges Mal Stammzellen aus der Nabelschnur eines frisch geborenen Kalbes extrahieren und könne damit fĂŒr alle Ewigkeit im Labor Fleisch zĂŒchten. Das Ergebnis sei eins zu eins dasselbe wie Fleisch eines geschlachteten Tieres. Es seien daher auch keine gesundheitlichen Nebenwirkungen zu erwarten, im Gegenteil. Auf lange Sicht könnte es sogar möglich sein, Fleisch mit verbesserten NĂ€hrwerten â zum Beispiel mit einem geringeren Gehalt an gesĂ€ttigten FettsĂ€uren â herzustellen. Fleisch auf diese Weise zu produzieren, sei offensichtlich wesentlich effizienter, als erst ein Tier zu mĂ€sten und es dann zu schlachten. Dennoch rĂ€umte Luining ein, dass es momentan noch nicht möglich sei, Laborfleisch in so groĂen Mengen zu produzieren, dass es in SupermĂ€rkten fĂŒr einen vernĂŒnftigen Preis angeboten werden könne. Optimistisch gesehen wĂŒrde dies noch acht bis neun Jahre dauern. Dass es aber irgendwann so weit sein wird, daran besteht aus Luinings Sicht kein Zweifel. Herkömmlich erzeugtes Fleisch wĂŒrde es zwar nicht sofort gĂ€nzlich ersetzen können, aber wenn sich der Konsum durch Laborfleisch zumindest reduzieren wĂŒrde, sei schon viel gewonnen.
Um Alternativen zu Fleisch ging es auch in der anschlieĂenden Podiumsdiskussion âThe Future of Meatâ, an der neben Luining auch Frank Cordesmeyer teilnahm, Director of Communications der Cellular Agriculture Society (CAS). Die CAS ist eine internationale Nonprofit-Organisation, die sich dem Ziel verschrieben hat, die Entwicklung von Fleisch aus dem Labor zu fördern. In der Podiumsdiskussion wurden die Chancen und HĂŒrden von verschiedenen Fleisch-Alternativen und die Möglichkeiten einer nachhaltigeren Lebensmittelproduktion erörtert. Cordesmeyer nannte im Zusammenhang mit letzterem Punkt auch die Potenziale von Insekten, die vor allem in LĂ€ndern wie Afrika und Asien eine groĂe Chance hĂ€tten, da sie hier bereits Teil der ErnĂ€hrung seien und weniger Akzeptanzprobleme hĂ€tten. Auf den westlichen MĂ€rkten sahen Luining und Cordesmeyer die nahe Zukunft zunĂ€chst in einer Erweiterung des Angebots fĂŒr Verbraucher um schmackhafte Fleischalternativen aus pflanzlichen Rohstoffen, Fleisch aus dem Labor und vor allem auch Mischformen aus beidem.
Woran wir sterben und was die ErnÀhrung damit zu tun hat
Warum jedoch der Umstieg auf eine pflanzenbetonte Kost aus medizinischer Sicht zu bevorzugen ist, darum ging es im Vortag ĂŒber Gesundheit, ErnĂ€hrung und unser Gesundheitssystem von Niklas Oppenrieder. Oppenrieder sprach im Namen der Physicians Association for Nutrition (PAN), die das Potenzial einer pflanzenbasierten ErnĂ€hrung hinsichtlich Krankheitsvorbeugung und -behandlung stĂ€rken möchte und sich dabei vor allem an Angehörige der Gesundheitsberufe, die Allgemeinbevölkerung sowie politische EntscheidungstrĂ€ger richtet. Dabei machte er zunĂ€chst eindrĂŒcklich deutlich, dass der gröĂte Teil der Todesursachen auf eine falsche ErnĂ€hrung zurĂŒckzufĂŒhren ist. Umso erstaunlicher sei es, dass ErnĂ€hrungslehre beispielsweise im Studium der Humanmedizin, kaum eine Rolle spielen wĂŒrde. Im Anschluss beleuchtete Oppenrieder eingehend die Frage, was gesunde ErnĂ€hrung eigentlich bedeute. Auch wenn noch nicht alle Details geklĂ€rt seien, seien die groĂen PuzzlestĂŒcke lĂ€ngst vorhanden. Diese sprĂ€chen ganz eindeutig fĂŒr eine pflanzenbetonte ErnĂ€hrung, so Oppenrieder. Seine Argumentation untermauert er mit verschiedenen Studien, die Verbesserungen von Laborwerten bei pflanzlicher Kost zeigen, sowie mit den sogenannten âBlue Zonesâ â Regionen auf der Welt, in denen die Menschen besonders alt werden und in denen ĂŒberwiegend pflanzlich gegessen wird.
Ăberzeugungsarbeit leisten durch Aktivismus und âSuitâ
Als nĂ€chster Sprecher stellte Jacek Prus die Arbeit von ProVeg international vor, speziell die des ProVeg Incubators. Hier werden Start-ups unterstĂŒtzt, die sich auf verschiedene Weisen dem Thema pflanzliche ErnĂ€hrung widmen und entsprechende Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Er beschrieb diese Art, VerĂ€nderungen zu bewirken als âSuitâ, da sie im Unterschied zum Aktivismus auf der StraĂe in der Regel in schicken AnzĂŒgen stattfinde. Beides sei aber wichtig und mĂŒsse Hand in Hand gehen. Generell argumentierte er, dass es den Menschen einfacher gemacht werden mĂŒsse, auf eine pflanzenbetonte Kost umzusteigen und es deswegen entsprechende Strukturen und Angebote brĂ€uchte.
Veganismus im Zeitalter von Social Media
In der anschlieĂenden Podiumsdiskussion ging es um pflanzliche ErnĂ€hrung in Sport, SpiritualitĂ€t und sozialen Medien. Dazu waren unterschiedliche Persönlichkeiten eingeladen, die mit ihrer Botschaft einer pflanzenbetonten ErnĂ€hrung in den sozialen Medien groĂe Aufmerksamkeit erlangt haben. Annelina Waller ist Bloggerin, Yoga-Lehrerin und Autorin des Buchs âBudda Bowlsâ, Sinah Diepold Sportmodel und ebenfalls Yoga-Lehrerin, Fritz Horstmann GrĂŒnder der GameChanger Academy und Veganer Coach und Dennis Michaelis Tierrechts-Aktivist. Sie alle berichteten von ihrem persönlichen Werdegang, darĂŒber, wie sie zum Veganismus gekommen sind und wie sie ihre PrĂ€senz in den sozialen Medien nutzen und damit umgehen. In diesem Zuge wurde auch angesprochen, wie wichtig âAuszeitenâ von den sozialen Medien sind sowie der Umgang mit âHaternâ. Hier stimmten alle ĂŒberein, dass ein sachlicher Kommentar die beste Lösung sei.
Kommunikation zwischen Veganern und Nicht-Veganern â wie man ein heiĂes Pflaster runterkĂŒhlt
Auf âEffektive Kommunikationâ ging Dennis Michaelis in einem gesonderten Vortrag nochmals tiefer ein. Als Aktivist ist es ihm ein groĂes Anliegen, Nicht-Veganer im persönlichen GesprĂ€ch nicht zu verprellen, sondern offen und effektiv zu kommunizieren. Die Zielsetzung dĂŒrfe nicht sein, sein GegenĂŒber sofort zum Veganer zu machen, sondern lediglich eine SensibilitĂ€t fĂŒr die Thematik zu schaffen. Die Entscheidung zum Veganismus mĂŒsse von jedem selbst und aus eigenem Antrieb heraus kommen. Er betonte zudem die Bedeutung von Empathie fĂŒr einen GesprĂ€chspartner und die Signale, die durch Körpersprache gesetzt werden.
Starthilfe fĂŒr Start-ups
Den letzten Programmpunkt des V-Edge-Kongresses bildete die Podiumsdiskussion âHow young entrepreneurs change the world to the betterâ. Nicolas Hartmann, ErnĂ€hrungsberater und MitbegrĂŒnder von VlyFoods, einem Unternehmen, das pflanzliche Alternativen zu Milch und Milchprodukten mit besonders hohem Proteingehalt herstellt, und Fabian Kreipl, Erfinder von Vanilla Bean, einer App zum AufspĂŒren veganer Restaurants, lieĂen das Publikum an ihren Erfahrungen als Start-up-GrĂŒnder teilhaben. Auch Jacek Prus von ProVeg nahm an dem GesprĂ€ch teil und machte deutlich, wie wichtig es fĂŒr Start-up-GrĂŒnder sei, eine ausfĂŒhrliche Maktanalyse und eine Testung des Produkts durchzufĂŒhren. Viele machten den Fehler, ein Produkt auf den Markt zu bringen, fĂŒr das es keine KĂ€uferschaft gebe. Kontrovers diskutiert wurde zudem die Frage, ob es fĂŒr vegane Start-ups vertretbar sei, mit gröĂeren Firmen zu kooperieren, die tierische Produkte herstellen. Die Tendenz ging aber zu der von Prus vertretenen Meinung, dass es den Tieren letztlich egal sei, warum und durch wen sie nicht geschlachtet werden.
Mehr ĂŒber die ErnĂ€hrung der Zukunft gibt es hier zu lesen, auch mit Insektennahrung haben wir uns schon einmal beschĂ€ftigt. Die Potenziale von Netzwerken und Social-Media-AktivitĂ€ten im Speziellen fĂŒr ErnĂ€hrungsfachkrĂ€fte waren auĂerdem Thema auf der Tagung der ErnĂ€hrungsumschau letzten Herbst.