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Heilsbringer Clean Meat – Das Ende der Massentierhaltung, des Klimawandels und der gesättigten Fettsäuren?

Clean Meat, In-vitro-Fleisch, Kunstfleisch, Cultured Meat – das ist der neue heiße Scheiß am Himmel der Nahrungsmittelproduktion. Die Idee ist nicht neu und schon lange forscht man am Fleisch aus dem Labor, das rein durch die Vermehrung von Zellen entsteht – ohne, dass ein Tier dafür geschlachtet werden muss. Bisher klang diese Vision vom künstlichen echten Fleisch wie weit entfernte Zukunftsmusik. Doch seit bekannt ist, dass führende Unternehmen der Fleischindustrie wie Tyson Foods, Cargill oder Wiesenhof große Summen in die neue Technologie investieren, ändert sich die Tonalität. Es scheint immer unwahrscheinlicher, dass das Clean-Meat-Phänomen wieder in der Versenkung verschwindet. Dass es in ein paar Jahren die Weltbevölkerung ernährt, ist aber ebenso unrealistisch.

Der Traum vom perfekten Stück Fleisch – saftig, nachhaltig, tierlieb, gut fürs Herz

Auf den ersten Blick scheint Clean Meat wie die Lösung all unserer Probleme. Denn das Töten von Tieren ist nicht nur ethisch fragwürdig, die Massentierhaltung verursacht auch einen großen Teil der Treibhausgasemissionen und verschlingt riesige Mengen unseres Frischwassers. Ganz zu schweigen von den energetischen Verlusten durch die Produktion von Futtermitteln. Für all das soll Clean Meat Abhilfe schaffen, selbst der Einsatz von Antibiotika wäre nicht mehr nötig. Und will man den Visionen einiger Start-up-Gründer im Clean-Meat-Business Glauben schenken, könnte es in Zukunft sogar möglich sein, die Nährwerte von Laborfleisch positiv zu beeinflussen und beispielsweise den Gehalt an gesättigten Fettsäuren zu reduzieren und dafür den von bestimmten Vitaminen zu erhöhen.

Ist der Clean-Meat-Traum zu schön, um wahr zu sein?

Für Clean Meat müssen zwar keine Tiere geschlachtet werden, aber von Zauberhand vermehren sich die Zellen in der Petrischale bzw. im Bioreaktor auch nicht. Sie müssen „bewegt“ und „gefüttert“ werden, wie ein lebendes Tier eben auch, und beides ist noch recht aufwendig. Deswegen ist es auch noch nicht möglich, Clean Meat im großen Stil zu produzieren und zu einem annehmbaren Preis auf den Markt zu bringen. Der erste 2013 verkostete Clean-Meat-Burger hatte damals noch einen Wert von rund einer Viertelmillion Euro. Das Urteil der Testesser: etwas trocken. Seit dem ist jedoch viel passiert, die Forschung weiter vorangeschritten, unterschiedliche Unternehmen wetteifern um die Markteinführung. Es scheint nur noch eine Frage von wenigen Jahren, bis Clean Meat – in wenigen Ländern und zu Preisen, die immer noch über denen von traditionellem Fleisch liegen – erhältlich sein wird. Da es bisher keine validen Daten dazu gibt, wie aufwendig die Erzeugung von Clean Meat hinsichtlich des Verbrauchs von Nährlösungen, Energie und Wasser ist, lässt sich nicht abschließend sagen, wie die Klimabilanz gegenüber der von herkömmlich erzeugtem Fleisch aussieht. Dass sie noch schlechter ist, ist kaum vorstellbar. Aber neue Technologien bringen neue Problem für die neue Lösungen gefunden werden müssen.

Hinzu kommen skeptische Verbraucher – denn nicht für jeden klingt Clean Meat nach einem Traum. Und die Akzeptanz des neuartigen Fleisches durch die Konsumenten ist die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Markteinführung.

Warum wir Clean Meat brauchen – Eine Lösung für Eingefleischte

Für uns ist es normal Fleisch zu essen. Fleisch war schon püriert im Hipp-Babygläschen drin, und als wir die ersten Zähne hatten, wurden uns Gelbwurst und Kinderschnitzel vorgesetzt. Der Geschmack ist vertraut, wir mögen ihn. In einem Land wie Deutschland mag man aktuell das Gefühl haben, dass wir eh schon zur Hälfte aus Veganern bestehen, aber auch hier gibt es noch genügend, die auf Fleisch nicht verzichten wollen – tatsächlich ist unser Fleischkonsum in den letzten Jahren nur leicht zurückgegangen. Dagegen steht der steigende Fleischkonsum in bevölkerungsreichen Ländern mit wachsender Wirtschaft wie China und Indien. Das Ende der Massentierhaltung wird also in absehbarer Zeit nicht durch eine weltweite Veränderung der Ernährungsgewohnheiten herbeizuführen sein. Sicher auch nicht durch Clean Meat. Und auch nicht durch Tofuburger, Seitanwürstchen, Insekten oder innovative Fleischersatzprodukte aus Erbsenprotein, in die zurzeit ebenfalls kräftig investiert wird. Aber nimmt man alles zusammen, ist es möglich.

Multifaktorielle Lösungen für multifaktorielle Probleme

Es gibt nicht den einen Heilsbringer, aber es gibt viele gute Ansätze, und wenn alle zusammenspielen und Hand in Hand gehen, kann sich tatsächlich viel verändern. Die Zukunft wird meist düster ausgemalt, aber in diesem Punkt bin ich hoffnungsvoll. Mein Gefühl ist, dass hier gerade viel im Umbruch ist. Konsumenten denken um, Produzenten finden neue Wege. Geschmack ist nur eine Gewöhnungsfrage und wir sind dabei, uns umzugewöhnen. Dass beim Verkosten eines Sojadrinks noch das Gesicht verzogen wird, weil er anders schmeckt als Milch, ist schon fast vorüber. Die ersten Kinder werden mit Milch- und Fleischalternativen groß und werden den Geschmack genauso mögen wie wir den unserer Gelbwurst. Irgendwann wird ein Schluck Kuhmilch eine Grimasse auslösen, weil sie nicht so schmeckt wie der Sojadrink.

Ich glaube fest daran. Ich glaube auch daran, dass es irgendwann eine Generation von Menschen geben wird, die verstört auf eine Zeit zurückschaut, in der noch Tiere geschlachtet wurden. Unvorstellbar wird das eines Tages sein. Und der letzte Jahrgang der Fleischesser wird etwas verschämt auf die alten Tage zurückschauen und es selbst nicht mehr ganz verstehen und achselzuckend sagen „Das war halt damals so.“ Ob das noch 100 Jahre dauert oder 200 oder 500 – da bin ich nicht sicher. Aber dass es irgendwann so weit sein wird, steht für mich außer Frage.

Wer noch mehr lesen will: Clean Meat war unter anderem beim V-Edge-Kongress Thema und auch mit Fleischsurrogaten und Insektennahrung haben wir uns schon beschäftigt.

 


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